Ärzte sollten mehr über Gendermedizin wissen: In Berlin werden neueste Forschungsergebnisse vorgestellt

Dr. Natascha Hess
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Die niedergelassene Kardiologin Dr. Natascha Hess erlebt es häufig: Patientinnen gelangen oft mit einen großen Leidensdruck und nach vielen erfolglosen Arztbesuche in ihre Praxis. Ihre spezifischen Probleme wurden nicht erkannt, die Therapie brachte nichts. „Hausärzte wie auch Kardiologen müssen einfach mehr über die Geschlechtsspezifik von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wissen“, sagt die Berliner Gendermedizinerin, „ und Patientinnen müssen sie einfordern.“ Beim Internationalen Kongress für Geschlechterforschung in der Medizin – 22. bis 23. September in Berlin (www.genderkongress.com) wird sie mit internationalen Expertinnen und Experten über den besten Weg zu mehr Wissen diskutieren.

Sie sind schon viele Jahre in dieses Thema eingebunden. Gibt es inzwischen einen Wissenszuwachs?

Dr. Hess: Das auf jeden Fall. Ärzte wie Patientinnen wissen mehr über die Symptome des Herzinfarkts bei Frauen, das hat auch Behandlungsstrategien in den Kliniken beeinflusst. Aber das ist nicht genug. Ich denke, die Öffentlichkeit muss dieses differenzierte Betrachten von Krankheiten noch stärker wahrnehmen – in der Prävention, aber auch dann, wenn Erkrankungen auftreten, erste Symptome wahrgenommen werden. Da ist es z. B. wichtig zu wissen, dass die Ehefrau nicht einfach die Herztabletten des Partners einnimmt. Hier haben wir noch viel Öffentlichkeitsarbeit zu leisten – und die Medien sollten uns dabei helfen. Geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es nicht nur bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern werden zunehmend auch bei anderen Krankheiten festgestellt, mit Konsequenzen für die Behandlung. Solche Forschungsergebnisse werden beim Berliner Kongress vorgestellt.

Charité wird Gendermedizin-Sprechstunde einrichten

Sie fordern mehr Angebote geschlechtsspezifischer Behandlung...

Dr. Hess: ... und ich freue mich berichten zu können, dass die Berliner Charité mit Anfang des kommenden Jahres eine geschlechtsspezifische Sprechstunde – mit Schwerpunkt Herz-Kreislauf – anbieten wird. Zudem sollte das natürlich auch Nachahmer finden, denn der Bedarf ist groß. Ich engagiere mich schon seit Jahren in der Weiterbildung der Kardiologen auf diesem Gebiet. Wichtig ist es vor allem, dass sich Hausärzte und Allgemeinmediziner mit den neuen Erkenntnissen vertraut machen, im Sinne ihrer Patientinnen und Patienten.

Wir haben in einem Interview mit Professor Alan Maisel, der ebenfalls in Berlin dabei sein wird, von neuartigen Biomarkern gehört, mit deren Hilfe das individuelle Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung von Frauen bestimmt werden kann. Impulse kommen dazu auch aus Brandenburg?

Dr. Hess: Ein Hennigsdorfer Unternehmen hat für die Risikoprognose einen einfachen Bluttest bestimmt, der anwendungsbereit zur Verfügung steht – für uns Gendermediziner natürlich eine hervorragende Angelegenheit. Ich hoffe, dass dieser Test bald gängige Praxis werden wird. Dazu brauchen wir natürlich auch die Akzeptanz der Krankenkassen. Das zeigt wiederum, wie wichtig der Dialog über die Geschlechterunterschiede in der Medizin ist.