Auch in der COVID-19 Forschung:
Fruchtbare Zusammenarbeit DGESGM und Schweiz

Artikel
25.05.2020
Seit die DGesGM-Vorsitzende Prof. Vera Regitz-Zagrosek im September 2019 die Anna Fischer Dückelmann Gastprofessur an der Uni Zürich übernahm, wurde die Zusammenarbeit der Gendermedizinerinnen in Deutschland und der Schweiz noch fruchtbarer. Das „Certificate of Advanced Studies“ in Gendermedizin der Universitäten Zürich, Bern und Lausanne nutzt die deutschen Erfahrungen, ebenso die Pläne, Gendermedizin in der Lehre an der Universität Zürich zu verankern. Das Projekt KIK, Karriere in der Kardiologie, bei dem Vera Regitz-Zagrosek mit Partner*innen eine Befragung an über 600 Kardiolog*innen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) über die wichtigsten Karrierebremsen durchführte, konnte mit Hilfe von Prof. Hildegard Tanner, Bern, und der Women‘s Health Initiative der Schweizerinnen erfolgreich auf die Schweiz übertragen werden. Probleme in der Kinderbetreuung, geringerer Verdienst bei gleicher Arbeit, sexuelle Belästigungen und schlechtere persönliche Förderung waren Hauptprobleme in Deutschland – dies wird jetzt auch in der Schweiz überprüft.

Und auch in der Forschung geht es voran: Die Kardiologin Catherine Gebhard, führende Gendermedizinerin in der Schweiz und Professorin und Leiterin des Studiengangs Gendermedizin an den Universitätsspitälern Bern und Zürich, hat im Team mit ihren Beraterinnen, darunter Vera Regitz-Zagrosek, einen sehr kompetitiven Grant zu COVID-19 Forschung (13% Erfolgsquote), ausgeschrieben durch den Schweizerischen Nationalfonds, erhalten (grant Nummer #31CA30_196140). Das Projekt soll die deutlichen Geschlechterunterschiede bei der COVID-19-Sterblichkeit näher untersuchen und ist als Multicenter Studie an den Universitäten Basel, Bern und Zürich, dem Zentrum, konzipiert. Es besteht aus einem experimentellen Teil und einem klinischen Teil. Ersterer untersucht Geschlechterunterschiede bei der Expression der Proteine, durch die SARS-CoV-2 in die Zellen gelangt, und die Rolle der Sexualhormone dabei, während der klinische Teil den Einfluss des Geschlechts auf den klinischen Verlauf von COVID-19 analysiert.   

Gemeinsam haben Catherine Gebhard und Vera Regitz-Zagrosek auch den ersten Übersichtsartikel zu Sex, Gender und COVID in der Zeitschrift Biology of Sex Differences veröffentlicht. Dieser Artikel soll dazu aufrufen, bei laufenden und geplanten Studien zu COVID-19 Geschlechterunterschiede bei den Immunantworten auf SARS-CoV-2-Infektionen und bei der Wirkung (und Nebenwirkung) antiviraler Medikamente zu berücksichtigen.   

Ein weiteres Projekt von Catherine Gebhard, das vom Schweizerischen Nationalfonds und der Iten-Kohaut-Stiftung mit insgesamt 950‘000 CHF gefördert wird, soll Steuerungsmechanismen auf molekularer und zellulärer Ebene untersuchen, die für eine erhöhte Stressreaktion bei herzkranken Frauen verantwortlich sind. Das Projekt “Gender-Differences in Heart-Brain-Crosstalk: Role of Inflammation, Sympathetic Pathways, and Psychosocial Complexity” wird mittels neuester Technologien die Kommunikation von Gehirn und Herz untersuchen. Eine sogenannte Hybridbildgebung ermöglicht es, zeitgleich molekulare Mechanismen mittels Positronen-Emissions-Tomographie darzustellen als auch anatomische und funktionelle Daten von Gehirn und Herz durch Magnetresonanztomographie zu gewinnen. Die Ergebnisse dieser Studie sollen die Entwicklung spezifischer und wirkungsvoller Behandlungsmethoden in der - bislang in Studien stark unterrepräsentierten - Population der herzkranken Frauen ermöglichen.
Und dann geht es den beiden auch um die Gender-bedingten Einflüsse auf die Verteilung von COVID-Infektionen. Catherine Gebhard untersucht, wie hier Unterschiede zustande kommen. Sie sagt: „Dieses Phänomen ist bislang noch nicht aufgeklärt; ich denke aber, dass bei den Corona-Ansteckungsraten die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau eine größere Rolle spielen als die biologischen.“ Wie die Schweizer Sonntagszeitung schreibt, gab es in den ersten Wochen der Corona-Krise in der Schweiz mehr Ansteckungen bei den Männern als bei den Frauen. Mit dem Lockdown von Mitte März waren jedoch schlagartig viel mehr Frauen betroffen. Der Trend hält bis heute an. Auffallend ist darüber hinaus, dass jüngere Frauen höhere Ansteckungsraten haben als jüngere Männer in den gleichen Altersgruppen. 

Die Schweiz liegt mit diesen Zahlen im internationalen Vergleich ungefähr im Mittelfeld. In Italien zum Beispiel beträgt der Frauenanteil bei den Corona-Fällen 53 Prozent, in Deutschland 52 Prozent, in Österreich 51 Prozent. In Spanien und in Schweden sind es sogar 57 Prozent. Noch Ende März hielten sich die Ansteckungszahlen zwischen Männern und Frauen in ganz Europa ungefähr die Waage. Doch seither gibt es fast überall einen Trend zu mehr Fällen bei Frauen.
Dazu Catherine Gebhard: „Krisen treffen Frauen ökonomisch fast immer härter als Männer.“ Und in der Corona-Krise gebe es Hinweise, dass gerade junge weibliche Geringverdiener besonders betroffen seien. Frauen seien zudem öfter als Männer in systemrelevanten Berufen tätig - zum Beispiel in der Pflege, im Verkauf oder in der Administration. „Sie konnten sich deshalb während des Lockdown weniger zurückziehen.“ Mit anderen Worten: Die tendenziell besser ausgebildeten Männer richteten sich im Homeoffice ein - ohne Virengefahr. Viele Frauen hingegen, oft schlechter bezahlt und ausgebildet, hatten diese Möglichkeit nicht.

Hinzu kommt ein zweiter Aspekt: „Geschlechter-Stereotype und klassische Rollenverteilungen sind während des Lockdown wieder mehr zum Tragen gekommen“, sagt Gebhard. Frauen übernähmen einen großen Teil der unbezahlten Betreuungsarbeit im engeren Umfeld. Sei es, dass sie sich mehr um Kinder und Haushalt kümmerten, soziale Unterstützung im Krankheitsfall leisteten oder betagte Angehörige pflegten.
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