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das sagen Mitglieder

Artikel
26.10.2020
Professor Dr. med. Burkhard Sievers
Ankopplung an eine Fachgesellschaft wichtig für den Austausch
Dr. Berrisch-Rahmel:
Die Impulse kamen von der Kardiologie


Professor Dr. med. Burkhard Sievers:

Hallo Herr Sievers, Sie sind kürzlich Mitglied in der DGesGM® geworden. Warum?

Prof. Sievers: Die geschlechterspezifische Behandlung ist augenblicklich in der Medizin unterrepräsentiert und nicht ausreichend beachtet, dabei gibt es große Unterschiede!
Als Internist, Kardiologe und Angiologe sehe ich seit langem die geschlechterspezifischen Unterschiede sowohl als Chefarzt einer großen Abteilung in einem Klinikum der Schwerpunktversorgung (Sana Klinikum Remscheid), als auch aus der eigenen Praxis (Cardiomed24).. Unter dem Motto „Frauenherzen schlagen anderes“ haben wir die unterschiedlichen Bedürfnisse der Geschlechter in der Medizin erkannt und führen regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen zu diesen Themen durch. Hier ist die Ankopplung an eine Fachgesellschaft, die sich eben mit diesem Thema speziell beschäftigt und eine Plattform sowie ein Netzwerk bietet, für den Austausch sehr wichtig. Als ich daher von der Deutschen Gesellschaft für Gendermedizin erfuhr, habe ich direkt um Mitgliedschaft und Aufnahme gebeten.

Warum ist gendermedizinisches Denken für Sie im Klinikalltag wichtig?

Prof. Sievers: Der geschlechterspezifischen Diagnostik und Behandlung kommt eine immer größere Bedeutung zu, um den unterschiedlichen Beschwerden, der Erkennung des tatsächlichen Krankheitsbildes und den Therapieoptionen von Frauen, Männern und des 3. Geschlechts gerecht zu werden. Klagen Männer beispielsweise beim Herzinfarkt oder bei Verengungen der Herzkranzgefäße über Druck- und Engegefühl in der Brust mit Ausstrahlung in den linken Arm und Kiefer, so haben Frauen häufiger andere Beschwerden wie Leistungsschwäche, Übelkeit oder Luftnot. Unterschiede gibt es auch bei Herzmuskelschwäche, Herzrhythmusstörungen, Gefäßerkrankungen, Lungen- und orthopädische Erkrankungen. Das Erkennen der richtigen Erkrankung und die richtige Behandlung sind häufig eine Herausforderung und führen vielerorts zu Fehldiagnosen mit nicht selten fatalem Ausgang oder einer Odyssee durch unterschiedliche Fachabteilungen und Ärzte. Noch recht unbekannt sind die Symptome und Besonderheiten bei dem 3. Geschlecht. Wir sind in unserer Praxis und unserer Klinik auf die geschlechterspezifische, gendermedizinische Behandlung spezialisiert. Durch eigene Expertise und ein Netzwerk von Kooperationspartner*innen im Bereich Gynäkologie/Frauenheilkunde, Urologie, Onkologie, Orthopädie, Radiologie und anderen Fachrichtungen) können wir unsere Patientinnen und Patienten zielgerichtet leiten und begleiten.

Was erwarten Sie von der DGesGM®?

Prof. Sievers: Einen gemeinsamen Austausch, ein unkompliziertes Netzwerk, Synergien im Austausch von Erfahrungen in der geschlechterspezifischen Behandlung, die Teilnahme an gemeinsamen Studien und gemeinsamen Veranstaltungen zur Information von Patient*innen und Ärzt*innen. Als gesellschafts- und gesundheitspolitisch wichtiges Thema wird die Gendermedizin auch im meinem gesundheitspolitischen YouTube Format, Sievers Sprechrunde, behandelt werden. Hier werden aktuelle gesundheitspolitische und andere interessante medizinische Themen mit Expertinnen und Experten und hochrangigen Gesprächspartner*innen aus Politik, Ärzteverbänden, Medizin und Wirtschaft diskutiert. Hier erhoffe ich mir Unterstützung in der Außendarstellung und Information zum Thema Gendermedizin.

Was sollte sich Ihrer Meinung nach im Klinik- und Praxisalltag in Bezug auf die geschlechterspezifische Behandlung ändern?

Prof. Sievers: Die Awareness! Wir müssen sowohl in der Klinik als auch in der Praxis noch umsichtiger werden und lernen, auf gesprächsspezifische Unterschiede in der Symptomatik, Diagnostik und Therapie zu achten. Eine Offenheit bezüglich des Themas und ein Interesse am Thema sind wichtig. Nicht jeder Mensch ist gleich, nicht jeder Mensch hat dieselben Beschwerden, nicht jeder Mensch verträgt dieselben Medikamente, nicht jeder Mensch profitiert von der gleichen Medikamentendosis oder Medikation. Die individuelle Behandlung unserer Patientinnen und Patienten unter geschlechterspezifischen Gesichtspunkten sollte mehr beachtet und in den Vordergrund gestellt werden. Ein wichtiger Punkt auch im Rahmen der Ausbildung unserer jüngeren Ärztinnen und Ärzte.

Besten Dank für diesen Einblick in Ihr Denken und Handeln!

Dr. Berrisch-Rahmel:
 
Lange und erfolgreich tätig bei der DGesGM®, und nicht nur dort, ist Frau Dr. Susanne Berrisch-Rahmel, den meisten im Netzwerk bekannt.
Sie hat die Vereinszusatzbezeichnung GendermedizinerinDGesGM® erworben und deckt das Versorgungsgebiet Düsseldorf und Umgebung ab.

Hallo Frau Berrisch-Rahmel, Sie sind seit 2012 Mitglied in der DGesGM® – Grund genug, uns zu bedanken und zur Vereinszusatzbezeichnung zu gratulieren! Welche Themen bewegen Sie aktuell und rückblickend? Lassen Sie uns bitte teilhaben an Ihrer Erfahrung rund um die Gendermedizin.

Dr. Berrisch-Rahmel: Mit dem Thema Gender kommt man als Kardiologin schnell in Kontakt. Ist da zum einen die großartige Kliniklandschaft, die nur einige wenige Frauen als Lehrstuhlinhaberinnen abbildet, in der Kardiologie weit unter 10 %. Im aktuell publizierten Jahresbericht der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) mit 10.000 Mitgliedern liegt der Anteil von Frauen unter den Mitgliedern Ende 2019 „sogar“ bei 25 Prozent. Erfreulich ist zu hören, dass Projekte zur Förderung der Frauen in der Kardiologie in Zukunft noch weiter ausgebaut und vorangebracht werden. Vielleicht ist es auch eine logische Folge, wenn fast zwei Drittel der Studierenden im Fach Humanmedizin Frauen sind.
Die ersten wissenschaftlichen Daten zur geschlechterspezifischen Medizin kamen aus der Kardiologie. Die erste Frau, die sich für eine geschlechterspezifische Medizin stark machte, war die US-amerikanische Ärztin und Wissenschaftlerin Marianne Legato, die in den 1980er Jahren auf Unterschiede von Herzerkrankungen bei Frauen gegenüber Männern aufzeigte. Sie gilt weltweit als Vorbild und mannigfach ausgezeichnete Expertin. Daraus entstand die Initiative „Go red for women“ der American Heart Association (AHA) sowie „Women at heart“ der Europäischen kardiologischen Fachgesellschaft (ESC).
Inzwischen können wir auf wissenschaftliche Untersuchungen zurückgreifen, die deutlich zeigen, dass geschlechterspezifische Unterschiede nicht nur bei der Diagnostik, sondern auch beim therapeutischen Vorgehen bei Erkrankungen wie der Koronaren Herzerkrankung, dem akuten Koronarsyndrom, arterieller Hypertonie und auch bei Kardiomyopathien und Herzrhythmusstörungen existieren.
Vor diesem Hintergrund haben wir 2011 im Bundesverband niedergelassener Kardiologen (BNK) die Arbeitsgruppe Gendermedizin gegründet. Unser Ziel ist es, auf die genderspezifischen Unterschiede in dem kardiologischen Praxisalltag hinzuweisen. Wir arbeiten im Austausch mit der AG 28 (Gendermedizin in der Kardiologie) zusammen. Durch das BNK Fortbildungsforum gelingt es uns, diese Themen bundesweit an über 1200 Kardiolog*innen zu adressieren. Auch geht unser Appell an die Industrie, Studiendaten auch in der weiblichen Population zu erheben wie es seit 2001 bzw. 2004 im Rahmen klinischer Prüfungen auch in der EU bzw. Deutschland gesetzlich gefordert wird.

Sie sind Autorin des Buchs „Sportherz und Herzsport“ und haben die Zusatzqualifikation Sportkardiologie DGK Stufe III. Wo kommt das besondere Interesse her?

Dr. Berrisch-Rahmel: Besonders spannend ist es, die Historie des Frauensports anzusehen. Das weibliche Geschlecht wurde über viele Jahrtausende von der Teilnahme an Wettkampfsportarten komplett ausgeschlossen. Das sportkardiologische Lehrbuch „Sportherz und Herzsport“ ist an alle gerichtet, die sich praxisnah mit der Sportkardiologie und der Wirkung von Sport auf das Herz-Kreislauf-System bei gesunden sowie bei kranken Menschen befassen möchten. Zusätzlich gibt es von der ESC eine Leitlinie „Sportkardiologie und körperliche Aktivität bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen“ und erstmalig ein Kapitel zum Thema „Sex differences“.

Vielen Dank für den kurzen Einblick in Ihre umfangreiche Tätigkeit !

Mit Prof. Sievers und Dr. Berrisch-Rahmel
sprach Dr. Ute Seeland
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