Die DGesGM im Jahr 2018:
Gute Signale für eine stärkere
Wahrnehmung von Geschlechterunterschieden

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Zur „Best of…“- Session auf dem 42. Wissenschaftlichen Kongress der Deutschen Hochdruckliga e.V. DHL® und der Deutschen Gesellschaft für Hypertonie und Prävention waren am 23.11.2018 Dr. Ute Seeland und Dr. Maximilian König aus der Charité-Universitätsmedizin Berlin eingeladen. Die Tagung stellte zwei zentrale Organe - Herz und Niere - in den Mittelpunkt, die bei Frauen und Männern in ihrer Funktion häufig gestört sein können und eine wichtige Rolle in der Pathogenese des Bluthochdrucks einnehmen. Zahlreiche Vortragende beschäftigten sich mit der arteriellen Gefäßsteifigkeit, Blutdruck im Alter und der Pharmakotherapie bei Bluthochdruck.

Unter der Überschrift „Hypertonie bei Männern und Frauen“, konnten Abstracts mit einem geschlechtersensiblen Schwerpunkt eingereicht werden. Ein gutes Signal, um das Bewusstsein stärker auf die Geschlechterunterschiede zu lenken. Bluthochdruck z.B. tritt bei Männern häufiger vor dem 60sten Lebensjahr und bei Frauen ab einem Alter von 60 Jahren auf. Frauen mit Hypertonie sind häufiger von einem Schlaganfall und einer Herzinsuffizienz betroffen als Männer.

Maximilian König aus der Klinik für Nephrologie präsentierte die Daten zur „Assoziation von Sexualhormonstatus, oraler Kontrazeption, Hormonersatz und arterieller Gefäßsteifigkeit“. Seeland und König hatten die Daten von 988 Männern und Frauen der Berliner Altersstudie II (BASE-II) analysiert. Neben der Altersgruppe > 60 Jahre (w=285, m=464) wurden auch in einer jüngeren Referenzgruppe (Alter 22-36 Jahren; w= 116, m= 123) Messungen zur Gefäßelastizität sowohl der kleineren und mittleren als auch der großen arteriellen Gefäße durchgeführt. Gemessen wurde oszillometrisch, nicht-invasiv mit einer Oberarmmanschette. Die Bestimmung des Sexualhormonstatus erfolgte durch die Messung von Estradiol und Testosteron im Serum. Eine ausführliche Medikamentenanamnese ermöglichte die Differenzierung von Proband*innen mit und ohne jegliche Medikamenteneinnahme, die Erfassung von jungen Frauen mit oraler Kontrazeption („Pille“) und den postmenopausalen Frauen mit Hormonersatztherapie.

Geschlechterunterschiede gab es bereits in der Referenzgruppe, den gesunden (ohne Medikamente) Frauen und Männern beider Altersgruppen. Die Referenzwerte für den Augmentationsindex (AIx) und die Pulswellengeschwindigkeit (PWV) lagen im Alter signifikant höher im Vergleich zu den Jüngeren (z.B. Frauen jung 5.1 ± 0.5 m/s, alt 10.0 ± 0.9 m/s). Geschlechterunterschiede bestehen insbesondere bei den Messungen des AIx, ein Messwert, der eine Aussage über die Elastizität der kleineren und mittleren Gefäße ermöglicht. Sowohl in der Gruppe der 22-36-Jährigen, als auch bei den ? 60-Jährigen hatten Frauen signifikant höhere Werte als Männer (z.B. Männer jung 9.7 ± 8.0 %, Frauen jung 19.8 ± 8.3%). Gibt es dafür eine Erklärung? Es stellt sich die Frage nach einem möglichen Zusammenhang mit dem Sexualhormonstatus. Daher untersuchten Seeland und König diejenigen jungen Frauen, die die „Pille“ einnahmen, und die postmenopausalen Frauen mit Hormonersatztherapie genauer. Bei der „Pille“ zeigten sich signifikante Unterschiede. Junge Frauen mit oraler Kontrazeption wiesen im Mittel signifikant höhere AIx-Werte auf als junge Frauen ohne Pille (22.6±7.6 vs. 17.6±8.1, p=0.001). Mittels linearer Regressionsanalysen konnte das Team zeigen, dass auch unter Berücksichtigung von anderen Einflussfaktoren auf die Gefäßfunktion wie zentraler systolischer Blutdruck, Bauchumfang, Glukose, LDL-Cholesterin, Rauchen und Alter, die Einnahme der „Pille“ mit einem erhöhten AIx (B = 3.766, 95% CI 1.166 – 6.427; p = 0.006), also einer Verschlechterung der Funktion der kleineren und mittleren arteriellen Gefäße, assoziiert war. Zusätzlich wiesen junge Frauen mit „Pille“ signifikant niedrigere Estradiolspiegel auf als diejenigen ohne Pille. In einem zweiten Modell zeigte sich unter Beibehaltung der o.g. Einflussfaktoren entsprechend eine negative Korrelation von Estradiolkonzentration und AIx (B = -0.008, 95% CI -0.013 – -0.002; p = 0.009), also ein Zusammenhang zwischen einem niedrigen körpereignen Östrogenspiegel und einer schlechteren Gefäßfunktion. Für die Gruppe der postmenopausalen Frauen zeigte sich kein statistisch signifikanter Zusammenhang von Estradiolspiegel und Hormonersatztherapie mit AIx oder PWV.

Die Daten sind vereinbar mit Beobachtungen, die gezeigt haben, dass die Einnahme der „Pille“ eine Erhöhung des systolischen Blutdrucks bis 8 mmHg bewirken kann. Ursächlich könnte u.a. die deutlich erniedrigte endogene Estradiolkonzentration unter Einnahme der „Pille“ sein. Die Daten zeigen auch, dass es weiterhin berechtigt ist, die Verschreibung der „Pille“ in ärztlicher Hand zu lassen. Weitere Studien müssen zeigen, bei welchen Frauen die Einnahme der „Pille“ möglicherweise mit einer Bluthochdruckentwicklung in späteren Lebensjahren einhergeht. Wenn wir das wissen, dann sollte in den gynäkologischen Praxen über die Diagnostik der arteriellen Gefäßelastizität nachgedacht werden, um die Frauen umfassend über ein mögliches Risiko aufzuklären.

Medikament auf dem Prüfstand
Eine weitere gute Gelegenheit ,dieses wichtige Thema zu diskutieren, ergab sich auf der diesjährigen Mitgliederversammlung der DGesGM® am 07.12.2018. Anlass zum wissenschaftlichen Austausch waren die Impulsreferate von Prof. Susanna Hofmann, Tauseef Nauman und Dr. Ute Seeland. Diskutiert wurde über die Relevanz der geschlechterspezifischen Datenerhebung bereits in der Grundlagenforschung am Beispiel eines am Helmholtz-Institut München von Frau Hofmann entwickelten Medikamentes zur Gewichtsreduktion. Hier zeigten sich in den Phase I- Experimenten an weiblichen und männlichen Mäusen zwar die gleichen Effekte auf das Gewicht, jedoch Unterschiede in der Dosis-Wirkungs-Beziehung. Kontrovers diskutiert wurde, ob diese Erkenntnis ausreicht, um anschließende Studien zur Zulassung des Medikamentes an beiden Geschlechtern weiter zu führen. Dies könnte viel Zeit in Anspruch nehmen und würde hohe Kosten nach sich ziehen. Diskutieren Sie mit und schreiben uns Ihre Meinung unter info@dgesgm.de.
Weiterhin beschäftigte uns die nicht obstruktive koronare Herzerkrankung, also eine Art der ischämischen Herzerkrankung bei Frauen und Männern. Die 5-Jahres Follow-up Studie (basierend auf den LIFE Daten) zeigte, dass Beschwerden wie Unbehagen im Brustbereich und Luftnot bei Belastung trotz Ausschluss einer koronaren Herzerkrankung mit einem erhöhten Risiko für ein kardiales Ereignis assoziiert sind. In die LIFE Heart Studie wurden Patient*innen mit Verdacht auf eine koronare Herzerkrankung von 2006-2014 in Leipzig aufgenommen und untersucht. Herr Nauman, GIM, Charité Berlin, stellte sich der Diskussion, warum Männer ohne Symptome im Vergleich zu Frauen ohne Beschwerden ein signifikant höheres Risiko haben, ein kardiovaskuläres Ereignis zu bekommen. Könnten hier soziokulturelle Faktoren eine Rolle spielen und dazu führen, dass Männer ihre Beschwerden nicht äußern? Oder werden die Symptome von Männern nicht empfunden oder anders beschrieben? Ute Seeland und Tauseef Nauman werden hierzu weitere Daten analysieren.

Konzepte für den Praxisalltag notwendig

Im August und November wurde die 2. stellvertretende Vorsitzende der DGesGM, Ute Seeland, sowohl auf die Versorgungskonferenz in Marburg eingeladen, als auch vom Potsdamer Oberbürgermeister und der Gleichstellungsbeauftagten gebeten, ihre Forschungsergebnisse zu präsentieren und über die mögliche Umsetzung in den Praxisalltag zu diskutieren. Bei beiden Veranstaltungen wurden gerade im Bereich der Versorgung Lösungsansätze intensiv diskutiert. Unter anderem werden Schritt für Schritt Konzepte realisiert, die zur Ausbildung und Qualifizierung von Frauen und Männern in Gesundheitsberufen beitragen, damit diese die niedergelassenen Ärzt*innen bezüglich einer qualifizierten Patient*innen-Kommunikation unterstützen. Unkompliziert erreichbare direkte Ansprechpartner*innen für die Patient*innen, um eine zeitnahe Antwort auf dringende Fragen liefern zu können – dies wäre ein sinnvolles Konzept zur Verbesserung der geschlechterspezifischen Versorgung von Frauen, Männern und deren Familien. 

Ausblick auf die Aktivitäten für 2019
Der IGM Kongress wird vom 12. – 13.September 2019 in Wien stattfinden. Die DGesGM ist aufgefordert, eine Sitzung zu organisieren. Wir bitten alle Mitglieder, bis zum 15. Januar Vorschläge zu Themen an den Vorstand der DGesGM (info@dgesgm.de) zu schicken.

Alle Mitglieder sind weiterhin aufgefordert, neue Mitglieder zu werben. Studierende werden beitragsfrei geführt. Der Jahresbeitrag mit Vergünstigungen bei Tagungen und Kongressen beträgt 50,-€ und bleibt damit stabil. LINK zum Mitgliedsantrag auf der DGesGM Seite:
https://www.dgesgm.de/index.php/mitglied-werden  
Die Vorsitzende der DGesGM, Prof. V.Regitz-Zagrosek, kündigt eine anonyme Internet basierte Befragung zu „Karrierehindernissen in der Kardiologie an“.

Vom 29.5.-01.06.2019 wird im CityCube in Berlin der Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Diabetologie stattfinden. Ute Seeland ist hier in der Programmkommission und beratend tätig. Es wird spannende Sitzungen zu Diabetes und gendermedizinischen Themen geben. Interessierte Mitglieder sind herzlich willkommen, an den drei Sitzungseinheiten mit jeweils vier Vortragenden teilzunehmen. Zusätzlich haben wir auch Veranstaltungen zum Themenbereich Migration – Diabetes – Gender organisiert.

Der Vorstand der DGesGM wünscht ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen gutes und friedvolles Neues Jahr!

Bericht: Dr. Ute Seeland
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