Die erste Kontaktperson in der Arztpraxis:
Gendermedizin – auch ein Thema für MFA!

Artikel
14.09.2020

In einem Interview NL 4/2020 sprachen wir noch von „Arzthelferinnen“. Seit 2006 heisst es korrekt Medizinische Fachangestellte, darauf wies uns der Verband Medizinischer Fachberufe hin. Gendermedizin ist auch für diese Berufsgruppe enorm wichtig.

Medizinische/r Fachangestellte/r – MFA - ist wohl der Beruf mit dem höchsten Frauenanteil überhaupt - gerade zwei Prozent der Berufsangehörigen sind männlich. Und doch wird er nur selten als Beispiel dafür angeführt:
Geschlechtergerechtigkeit macht um diesen Beruf ohnehin einen besonders weiten Bogen: Ein Vergleich mit männlichen Kollegen ist kaum möglich. Hinzu kommt, dass Frauen sich in der Doppelrolle als Berufstätige und Mutter wiederfinden, die Hälfte teilzeitbeschäftigt ist und das alles im Kleinbetrieb bei einem Gehalt von 2.448 Euro brutto pro Monat (Quelle: Entgeltatlas der Arbeitsagentur für das Jahr 2019, bezogen auf Vollzeitbeschäftigung).

Welche Rolle soll dann noch Gendermedizin spielen? Eine mehrfache!
Als erste Kontaktperson für Patient/innen in der Arztpraxis müssen MFA bereits am Telefon eine Art Triage übernehmen. Bei der Vergabe von Terminen, der schnellen Vorstellung beim Arzt oder dem Erkennen von Notfällen ist es entscheidend, die Dringlichkeit richtig einschätzen zu können. Gerade hier ist das Wissen über geschlechtsspezifische Symptome von Bedeutung und kann Leben retten. Der Herzinfarkt ist als Beispiel dafür prädestiniert: Männer haben meist stechende Brustschmerzen, die in den Arm ausstrahlen können und mit einem Enge-Gefühl verbunden sind. Bei Frauen kommt es häufig zum atypischen Verlauf mit Symptomen wie Übelkeit, Erschöpfung oder Schmerzen im Oberbauch.
Damit erschöpft sich aber häufig das Wissen um genderspezifische Alarmsignale. In der Ausbildung zur/zum Medizinischen Fachangestellten ist das Thema nicht explizit aufgeführt, sondern vielmehr vom Engagement der Berufsbildenden Schule oder der Ausbildungspraxis abhängig.
Bei der Vermittlung von Krankheitsbildern in der Ausbildung sollte daher bereits ein Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede geweckt und bekanntes Wissen weitergegeben werden. Oftmals haben unsere Auszubildenden die Vorstellung, man lernt in der Praxis und in der Berufsschule die Symptome einer Erkrankung und kann diese dann für alle Patient/innen anwenden. Hier könnte Lernmaterial zur Gendermedizin für Berufsschule und Betrieb die Ausbildung deutlich erleichtern.

Unterschiede gibt es auch bei der Verteilung der Erkrankungen und im Präventionsverhalten der Geschlechter. Kenntnisse darüber machen die Kommunikation und Überzeugungsarbeit für MFA einfacher. Wenn wir wissen, dass Frauen regelmäßiger zu den Vorsorgeuntersuchungen gehen als Männer, dass Schilddrüsenerkrankungen häufiger bei Frauen vorkommen und Männer häufiger und früher an Darmkrebs erkranken, dann sind das Ansatzpunkte für ein wichtiges Aufgabengebiet von MFA: die Information der Patient/innen über Ziele und Möglichkeiten der Vor- und Nachsorge. Medizinische Fachangestellte können ihre medizinischen und kommunikativen Kompetenzen nutzen, um die richtige Ansprache zu finden und beispielweise Männer zu mehr Vorsorgeuntersuchungen zu motivieren und ihnen die Unwissenheit oder Angst z. B. vor einer Koloskopie zu nehmen.

Gendermedizin sollte aber auch bei den Medizinischen Fachangestellten selbst ansetzen – vor allem im Bereich der Arbeitsmedizin. Leider erschöpft sie sich hier oft im Mutterschutz. Hier gilt es, mehr Beachtung auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu richten. Eine Studie der Universität Düsseldorf hat zum Beispiel ermittelt, dass Stress bei MFA besonders hoch ist. Der Berufsalltag ist durch permanentes Multitasking gekennzeichnet und schafft somit – bei geringer Anerkennung der Leistungen – eine hohe Unzufriedenheit, die sich letztlich darin äußert, dass viele MFA an ein Abwandern aus diesem Beruf denken.

In ihrer Rolle als Vermittler/innen und Vertrauensperson zwischen den Patient/innen und Ärzt/innen haben die mehr als 400.000 MFA eine entscheidende Rolle im ambulanten Gesundheitswesen. Sie darin zu bestärken, könnte auch eine Aufgabe der Gendermedizin sein.

Autorinnen:
Hannelore König, Barbara Kronfeldner
Verband medizinischer Fachberufe e.V.
www.vmf-online.de

Mehr zum Thema