Dr. rer. nat. Andreas Bergmann:
Biomarker sind Instrumentarien der Gender Medicine

Die persönliche Anfälligkeit für Krankheiten treffgenauer und frühzeitig erkennen und – noch einen Schritt weiter – sie vermeiden helfen: Diesem Ziel näher zu kommen ist möglich, ist Dr. Andreas Bergmann überzeugt. Der Wissenschaftler und Geschäftsführer des Biotech-Unternehmens sphingotec im brandenburgischen Hennigsdorf befasst sich mit Biomarkern und in diesem Zusammenhang auch mit einem bisher wenig beachteten Hormon, dem Neurotensin.

Ein Weg, das Instrumentarium der Gender Medicine zu erweitern...?

Dr. Bergmann: Das Thema Gender Medicine hat mich schon immer interessiert! Es ist doch zumindest heute nicht mehr nachzuvollziehen, warum wissenschaftliche Erkenntnisse in der Medizin immer am männlichen Maßstab überprüft wurden. Beispiele dafür lassen sich heute noch in der Pharmakologie und bei Medizintechnik finden. Nicht zuletzt bei den Testverfahren. Irgendwie hat das bisher keinen interessiert... Ich habe vor einigen Jahren die ersten Schritte zu einer geschlechterspezifischen Testung miterlebt und kann dies nun in meinem Unternehmen fortsetzen.

Sie haben mit den Entwicklungen zum Neurotensin Möglichkeiten geschaffen, die Gefahr verschiedener Erkrankungen frühzeitig anzukündigen, eine Art Warnsystem...

Dr. Bergmann: Vom Neurotensin sollte man zunächst wissen, dass es ein Peptidhormon ist, das im Dünndarm freigesetzt wird und dort die Aufnahme und Verwertung von Fett stimuliert. Der von uns entwickelte Test misst die Konzentration von Neurotensin - bzw. des Vorläufermoleküls Pro-Neurotensin - im Blut, eine ganz einfache und, nebenbei gesagt, auch preiswerte Methode. Dieses Pro-Neurotensin ist aber nicht nur Indikator, sondern auch ein ausschlaggebender Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Es hat sich bei einer großen Populationsstudie (Malmö Diet and Cancer Study) gezeigt, dass dies vor allem bei Frauen nachweisbar war. Erhöhte pro-NT-Plasmawerte sind deshalb signifikante Prädiktionsfaktoren. Frauen mit erhöhten Werten haben ein doppelt so hohes Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Störung zu erkranken und zu sterben im Vergleich zu Frauen mit einem niedrigen Wert.

... und das Wichtige an dieser Erkenntnis ist vor allem, dass man etwas tun kann!

Dr. Bergmann:
Gerade weil Neurotensin die Speicherung von Fettdepots reguliert, ist die Schlussfolgerung: Hohe Konzentration von Neurotensin gleich übermäßige Fettverwertung und -ablagerung im Körper. Die Konsequenz daraus muss lauten - gesunde Ernährung, Bewegung, Änderung des Lebensstils. Das an sich sind ja keine neuen Forderungen, aber als Konsequenz aus einem belegbaren Risiko vielleicht eher zu befolgen, noch dazu bei sachkundiger ärztlicher Betreuung.

Aber das Neurotensin hat noch zu weiteren Forschungsergebnissen geführt...

Dr. Bergmann: Es hat uns angeregt, noch genauer hinzuschauen – In Bezug auf ein Brustkrebsrisiko, auf Diabetes, Fettleibigkeit... Neurotensin ist für uns eine Art Schlüsselstoff, zumal es eben auch etwas über die Unterschiedlichkeit der Geschlechter aussagt.
Mit einem positiven Gentest zum Brustkrebsrisiko kann eine Frau meiner Meinung nach wenig anfangen, es sei denn, sie entscheidet sich für eine vorbeugende Brustentfernung. Der Biomarker sphingotest®-pro-NT signalisiert ihr - ändere deine Lebensweise, dann sinken deine Neurotensin-Werte und das Krebsrisiko. Damit kann sie umgehen.
Ganz allgemein kann man sagen, dass uns die geschlechtsspezifische Sicht auf die Biomarker, auch die herkömmlichen, viele neue Einsichten bringt. Und dies im Interesse von Frauen und Männern, die damit gar nicht erst zu Patientinnen und Patienten werden sollen.

Zeigt Ihre Arbeit nicht auch, dass Gender Medicine ein breites Betätigungsfeld für die Gesundheitswirtschaft, für Biotech-Unternehmen und Pharmahersteller bietet?

Dr. Bergmann: Auf jeden Fall. Ich kann nur ermutigen, diese - aus meiner Sicht überfällige - Entwicklung ernst zu nehmen und aufzugreifen. Sie bietet viele neue Ansätze, um die Gesundheitsversorgung zu optimieren.

Mit Dr. Bergmann sprach
Annegret Hofmann