Gendermedizin in den ärztlichen Alltag!

Prof. Mayet, Sande: Die Faktoren Alter und Geschlecht müssen besser berücksichtigt werden

Noch nicht alltäglich: Eine von einem großen regionalen Krankenhaus ausgerichtete Fortbildungsveranstaltung – das 45. Mai-Symposium des Nordwest-Krankenhauses Sanderbusch - widmete sich der geschlechtsspezifischen Medizin. Wir sprachen darüber mit Chefarzt Prof. Dr. Werner-J. Mayet.

Es ist aus meiner Erfahrung heraus recht ungewöhnlich, dass das Thema Gendermedizin im Rahmen einer ärztlichen Fortbildung und aus einem Krankenhaus heraus angeboten wird. Was hat Sie dazu bewegt?

Prof. Mayet: Die Altersmedizin, mit der wir Ärzte uns ja auch erst seit einiger Zeit intensiver befassen, hat mich auf die Gendermedizin aufmerksam gemacht. Innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie leite ich die Arbeitsgemeinschaft Geriatrische Gastroenterologie, eine weitere AG, unter Leitung von Privatdozentin Dr. Andrea Riphaus, hat Gendermedizin zum Thema. Wir haben uns ausgetauscht und eine Reihe Gemeinsamkeiten gefunden: Die Medizin muss die Faktoren „Alter“ und „Geschlecht“ besser berücksichtigen. Lässt man diese Aspekte außer Acht, ist das Behandlungsergebnis möglicherweise weder für den Patienten noch für den Behandler zufriedenstellend. Eine Tatsache, die im klinischen Alltag zu wenig Berücksichtigung findet. Das war für mich ein Grund, die Gendermedizin einmal in den Mittelpunkt unseres Symposiums zu stellen, das in diesem Jahr zum 45. Mal stattfand.

Gerade bei niedergelassenen Ärzten, und die wollen Sie ja vor allem auch ansprechen, ist das Thema Gendermedizin oft noch relativ unbekannt bzw. wird auch kritisch gesehen?

Prof. Mayet: Umso erfreulicher war es, dass wir mit 150 Teilnehmern so gut wie noch nie zuvor besucht waren. Das zeigt doch, wie groß die Neugierde und Interesse an der Thematik sind. Natürlich haben wir auch ausgewiesene Expertinnen und einen Experten eingeladen. Übrigens zeigte dies noch eine Problematik der Gendermedizin: Sie betrifft mit ihren Erkenntnissen die bessere medizinische Versorgung von Frauen und Männern, aber es sind immer noch vor allem Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen, die sich damit befassen, das wies auch unsere Referentenliste aus. Ich würde mir wünschen, dass das anders wird. Hier gibt es offenbar noch Skepsis und Missverständnisse, was die Gendermedizin betrifft.

Konnten ein paar davon ausgeräumt werden?

Prof. Mayet: Das sicher. Wir hatten eine sehr angeregte Diskussion, vor allem eine Frage stand im Mittelpunkt: Was kann ich in meiner täglichen Praxis, in meinem Fach selber tun, um die Erkenntnisse anzuwenden? Nehmen wir den Myocardinfarkt und dessen geschlechter-unterschiedliche Symptomatik, die in der ärztlichen Praxis noch nicht ausreichend beachtet wird. Da kam bei manchem schon Betroffenheit auf und der Wille, sich hier fortzubilden und umzudenken. Wichtig war es auch, Beispiele aufzuzeigen, bei denen männliche Patienten Vorteile aus den Erkenntnisse der Gendermedizin ziehen, z. B. im Fall der Ostoporose, lange Zeit als ausschließliche Frauenkrankheit definiert. 

Ein prominenter Referent des Tages war Prof. Harald zur Hausen, Krebsforscher und Nobelpreisträger. Konnte er das Anliegen des Symposiums bekräftigen?

Prof. Mayet: Seine Arbeiten zu den humanen Papillomviren sind ein gutes Beispiel, wie Grundlagenforschung auch hier neue Blickwinkel eröffnet. So plädierte er dafür, die guten Ergebnisse, die man inzwischen in Bezug auf die HPV-Impfung und den Schutz vor Gebärmutterhalskrebs bei Mädchen gewonnen hat, durch die Erweiterung des Impfprogrammes auf Jungen zu festigen. Ich denke, das ist noch ein weites Feld für wissenschaftliche Arbeiten, und wir können dazu noch viel erwarten.

Kommen wir noch einmal zur ärztlichen Arbeit im Krankenhaus. Im Zusammenhang mit den DRG und einer leitlinien-gerechten Behandlung spielen oft Aspekte des Geschlechts eine untergeordnete Rolle?

Prof. Mayet: Ich denke, auch hier werden sich neue Gesichtspunkte durchsetzen und vielleicht auch in DRG und Leitlinien einfließen müssen. Bei uns und in anderen Krankenhäusern spielen interdisziplinäre Falldiskussionen einen immer größere Rolle, und niemand hindert uns daran, hier entsprechende Erkenntnisse einzubringen. Oder nehmen wir die Notaufnahme. Auch hier kann die Diagnostik unter Berücksichtigung des Genderaspektes effektiver und sicherer gestaltet werden. Ich habe mich jedenfalls gefreut, dass unsere jungen Assistenzärzte beim Symposium nicht nur sehr aufmerksam zugehört, sondern auch viele Fragen gestellt haben. Wir sind auf einem guten Weg, die Qualität unserer ärztlichen Arbeit mit Hilfe der Gendermedizin weiter verbessern zu können.