Ich rieche was, was du nicht riechst ...

Interview
24.09.2018
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Dr. rer. nat. Marlies Wallner lehrt und forscht an der FH JOANNEUM im österreichischen Graz. Als Ernährungswissenschaftlerin befasst sie sich u.a. mit der gesundheitsorientierten Sensorikforschung im Bereich der Adipositasprävention. Der Zusammenhang von Geschmack und Übergewicht ist ein zentrales Thema für sie, auch unter geschlechtsspezifischen Ansätzen. Wir sprachen mit ihr darüber.

Frau Doktorin Wallner, bei der 2018er Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin sprachen Sie über die Geschmackswahrnehmung von Männern und Frauen und stellen hypothetisch die Frage, ob das Geschlecht dabei eine Rolle spiele. Wie beantworten Sie diese Frage?

Dr. Wallner: Eindeutig mit ja. Die Wahrnehmung eines Lebensmittels, das vor uns auf dem Teller liegt oder das wir gerade kaufen wollen, ist ein vielfaktorieller Vorgang, bei dem alle Sinne einer Person angesprochen sind. Das Sehen ebenso wie das Riechen, das Tasten, das Hören und das Schmecken. Das Gehirn empfängt diese Signale und bewertet sie quasi. Dabei ist das Geschlecht eine ganze wichtige Komponente bei der Bewertung solcher Signale.

Eine Kollegin, die leidenschaftlich auf die Jagd geht, erzählte mir, dass Jägerinnen das Wild besser wittern als ihre männlichen Jagdgenossen. Ich hielt das eigentlich für Jägerinnenlatein ...

Dr. Wallner: Aber keinesfalls! Im Durchschnitt empfinden Frauen Gerüche intensiver als Männer. Und das trifft eben durchaus nicht nur auf Wohlgerüche zu. So hat eine Studie aus den USA in 2016 gezeigt, dass Männer Rauch und Erdgas weniger häufig korrekt identifizieren konnten als Frauen.

Gibt es dafür Erklärungen?

Dr. Wallner:
Die olfaktorische, also die Wahrnehmung von Gerüchen, geschieht durch Rezeptoren in den Nasenhöhlen, die dafür verantwortlichen Nerven sind „echte“ Nervenzellen – im Vergleich dazu sind Geschmacksrezeptoren Epithelzellen. Diese olfaktorischen Nerven sind eng mit Emotionen, Affekt und Gedächtnis verbunden. Möglicherweise ist das bereits ein Ansatz für die Geschlechterspezifik der Geschmacks- und Geruchswahrnehmung. Im übrigen sind junge Probandinnen, die nicht rauchen, bei solchen Studien am treffsichersten mit ihrer Wahrnehmung.

Gerüche lösen Emotionen aus, das haben viele schon erlebt ...

Dr. Wallner: ... und ich möchte behaupten, mehr bei Frauen als bei Männern. Erstere sind geruchssensibler und haben diesbezüglich auch eine niedrigere Ekelschwelle als Männer. Wobei wiederum Frauen und Männer unterschiedliche Gerüche als ekelerregend definieren. Und weitere bemerkenswerte Unterschiede gibt es bei der zielgruppenspezifischen Zuordnung von Gerüchen: So wird Vanilleduft von Männern vorwiegend Kindern, von Frauen dem Jugendalter zugeordnet, einen nussigen Geruch verbinden Männer mit Jugendlichen, Frauen dagegen mit Erwachsenen. Blumenduft wird interessanterweise von Männern mit der eigenen Altersgruppe verbunden.
 
Kommen wir zur Geschmackswahrnehmung, die uns etwas gut oder weniger gut schmecken lässt ...

Dr. Wallner: Auch hier gibt es interessante geschlechtsspezifische Unterschiede. Eine Bachelorarbeit aus unserem Haus hat zum Beispiel gezeigt, dass Männer, erklärbar aufgrund ihres geringeren Ekelempfindens, dem Verzehr von Insekten positiver gegenüber standen als Frauen. Gleichzeitig, zeigte sich jedoch bei einer Selbsteinschätzung, dass diese Frauen eher bereit sind, neue und unbekannte Lebensmittel auszuprobieren. Das alte Sprichwort „Was der Bauer nicht kennt ...“ stimmt also nur zum Teil und nicht für alle und immer ...
Aus unserem Haus wie auch im Rahmen internationaler Studien liegen interessante Ergebnisse in Bezug auf unterschiedliche Geschmackswahrnehmungen vor – süß oder sauer, salzig, bitter oder umami, also wohlschmeckend, würzig. So werden z.B. bestimmte Bittersubstanzen unterschiedlich wahrgenommen, manche Personen und hier wiederum verhältnismäßig mehr Männer können bestimmte Bitterstoffe gar nicht schmecken. Was natürlich unterschiedliche geschmackliche Vorlieben zur Folge hat. Man kann davon ausgehen, dass es dafür genetische Ursachen gibt.
Wie bei vielen Fragestellungen zur Unterschiedlichkeit der Geschlechter ist auch in Bezug auf die sensorische Wahrnehmung noch vieles offen und bedarf weiterer Forschungen. Wie zum Beispiel auch, warum sich die Geschmackswahrnehmung in der Schwangerschaft verändert, woher die bekannten „Gelüste“ nach Süßem oder Saurem kommen...

Wenn wir mehr über diese unterschiedliche Sensorik wissen – wäre das nicht ein neues Geschäftsfeld für die Nahrungsmittelbranche? Und bleibt damit nicht möglicherweise der Faktor Gesundheit in Sachen Lebensmittel noch mehr auf der Strecke?

Dr. Wallner:
Natürlich könnten geschlechtsspezifische Lebensmittel entwickelt werden und es gibt hier schon gegenderte Designs z. B. für Knabbergebäck, eingelegte Gurken, Gewürze oder Würstel. Zur Zeit sind diese Entwicklungen den gesellschaftlichen Rollenbildern zuzuordnen und eher unkontrolliert. Im diätologischen Kontext könnte eine gezielte geschlechtsspezifische Produktentwicklung jedoch in der Prävention bzw. Gewichtsregulation hilfreich sein, da Frauen und Männer unterschiedlich auf Therapien ansprechen. Spezifische Produkte oder Rezepturen können dann eventuell bei Morgenübelkeit in der Schwangerschaft helfen und zu einem verbesserten Wohlbefinden beitragen.

Das Gespräch führte Annegret Hofmann
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