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Bundesweite und kommunale Aktivitäten
bei Gendermedizin und Gendermainstreaming
Von Dr. med. Astrid Bühren, Stellv. Vors. der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin e.V. (DGesGM)

Artikel
18.02.2019
Wie setzen sich die Themen Gendermain­wwwstreaming und Gendermedizin auf kommunaler Ebene durch? Wovon hängt der Prozess ab? Wie können Bürgerinnen und Bürgern davon erfahren und profitieren?
Autorin Dr. Astrid Bühren nahm ihren Festvortrag „Geschlechtersensible Gesundheit – was hat sich seit 2003 verändert?“ zum 15jährigen Jubiläum des Gesundheitsbündnisses Peine im Dezember 2018 zum Anlass, Meilensteine kommunaler und bundesweiter Aktivitäten näher zu beleuchten.

Im niedersächsischen Landkreis Peine (mit rund 130.000) und der Stadt Peine (knapp 50.000 Einwohner/innen) initiierte die engagierte Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises, Silke Tödter - Bezug nehmend auf die weltweite Etablierung der Gender Mainstreaming Strategie (GM) nach dem 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking - im Jahr 2000 ein „Managementteam für Geschlechtergerechtigkeit“. Das war damals ein in Niedersachsen einmaliges Konzept.
Erste Maßnahme – ein Perspektivwechsel, der
  • die Chancengleichheit von Frauen und Männern als strukturelles Veränderungsziel für alle Lebensbereiche definiert; 
  • Veränderungsbotschaften von Chancengleichheitspolitik gleichermaßen an Männer richtet und sie damit in die Verantwortung nimmt.
Als Basis dient eine Doppelstrategie: Frauen- und Gleichstellungspolitik und Gendermainstreaming sind zwei sich ergänzende Strategien, um das Ziel Chancengleichheit von Frauen und Männern zu erreichen.
GM kann aber nur erreicht werden,
  • wenn die politischen Spitzen klar Position dafür beziehen und die jeweiligen Leitungsebenen die gleichstellungspolitischen Ziele eindeutig vorgeben und den Umsetzungsprozess engagiert unterstützen (Top-Down-Strategie);
  • wenn eine konsequente geschlechtsspezifische Datenerhebung und Auswertung erfolgt;
  • wenn der Umsetzungsweg transparent und praktikabel ist.
Mit einem Kreistagsbeschluss verankerte der Landkreis Peine Geschlechtergerechtigkeit als Gemeinschaftsaufgabe in seinem Leitbild. Zudem wurde die Umsetzung der Gemeinschaftsaufgabe mit der Strategie GM beschlossen.
Das o.g. Managementteam förderte u.a.:
  • Gendertraining für Führungskräfte und Personalverantwortliche, um Genderkompetenz zu entwickeln;
  • ein Gender-Projekt der Personalentwicklung – „Cross-Mentoring - Manage the Difference”; 
  • den Girls Day ab 2005 als Zukunftstag für Mädchen und Jungen, die u.a. sensibilisiert werden sollen für partnerschaftliche Arbeitsteilung und einen geschlechtergerechten Familienalltag; 
  • „Gender-News“ – ein- bis zweimal im Jahr per e-mail mit Informationen und Berichten zu den Aktivitäten des „Managementteams Geschlechtergerechtigkeit“ und
  • ab 2010 ein Gleichstellungscontrolling (Gender Check) in Beschlussvorlagen nach Vorbildern in Sachsen-Anhalt, Freiburg und Hannover, zuerst in den Fachdiensten Personal, Immobilienwirtschaftsbetrieb und Jugendamt, später in allen Fachdiensten.

2003 wird das Gesundheitsbündnis für den Landkreis Peine ins Leben gerufen, Gender Mainstreaming als Strategie festgelegt und mit öffentlichen Veranstaltungen dokumentiert zu Themen wie: „Gender Mainstreaming - Werden Frauen anders krank?“ und „Ist Gesundheit eine Frage des Geschlechts?“ „Brustkrebs“, „Männergesundheit: Vorsorge und Prävention“, „Frauen (Gesundheit) stärken – Frauen doppelt und dreifach belastet“, „Pflegende Angehörige“ und „die Gender-Frage in der psychosozialen Medizin“. Projekte wie „Ernährung & Bewegung“, „Peine speckt ab“ und „Peine bewegt sich“ und „Peiner Tag der Organspende“ finden ebenfalls einschließlich der Genderperspektive statt.
Erarbeitet werden u.a. der „Peiner Medikamentenpass“, ein „Gesundheitsbündnis-Merkblatt zum Notieren der Beschwerden und Anliegen vorm Arztbesuch“ und ein „Fragebogen für Pflegende Angehörige“.

Dr. Ute Seeland, Kardiologin und Vorstands­mitglied der DGesGM, war aktiv an der 2. Versorgungskonferenz 2018 der Universitätsstadt Marburg und des Landkreises Marburg-Biedenkopf im Zuge der gemeinsamen Initiative“ Gesundheit fördern – Versorgung stärken“ beteiligt.
Der Deutsche Ärztinnenbund hat bereits 1999 als Vorreiter seinen Wissenschaftlichen Kongress an der benachbarten Universität Gießen zum Thema „Frauenherzen schlagen anders“ – unter Leitung von Prof. Ingeborg Siegfried – ausgerichtet.

Was sich außerhalb der Kommunen bewegt

Dazu einige Beispiele: 2008 findet der BZgA-Workshop „Gender Mainstreaming in der Gesundheitsförderung/Prävention“ statt (Ergebnisse in Band 10 der Fachheftreihe „Gesundheitsförderung konkret“).
Im Internet findet sich (Stand 2012) eine „Arbeitshilfe des Deutschen Städtetages“ zu „Gender Mainstreaming – Beispiele aus den Kommunen zur Gleichstellung“.
Neben den Themen „Gender Budgeting“, „Frauenquoten für Führungspositionen“, „Gender Mainstreaming in Städtebau und ÖPNV“, „Betriebliche Frauenförderung“ und „Förderung von Frauen aus verschiedenen Herkunftsländern zur Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse“ wird auch auf „Gendermedizin im Städtischen Klinikum München“ verwiesen. Laut Fachreferentin Johanna Zebisch ist es das „erste kommunale Klinikum mit einer Fachstelle für Gender in Medizin und Pflege“ und „bislang die einzige Klinik mit einer eigenen Beauftragten für Gendermedizin“.

Die Etablierung der Gendermedizin sollte sinnvollerweise eingebettet sein in ein umfassendes Gender-Konzept. Hier sind nicht primär – wie in der Forschung – die biologischen Sex-Unterschiede relevant, sondern das Wissen um die gesunderhaltenden bzw. krankmachenden Genderaspekte im alltäglichen Familien- und Berufsleben. Dies wiederum könnte beispielsweise zur Reduktion der überproportional häufigen Diagnose einer Depression bei Frauen bzw. zur bisher eher zu seltenen Diagnosestellung einer behandlungsbedürftigen Depression bei Männern beitragen.
Intensive Vernetzung und Informationen über vorbildliche Entwicklungen können dazu beitragen, die einzelnen Puzzlesteine möglichst rasch und zum Nutzen aller Patientinnen und Patienten zu einem kompletten Muster für eine adäquate genderspezifische medizinische Versorgung zusammen zu fügen.
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