Keine Frau in der Führung? Peinlich für Unternehmen!

Interview
23.11.2020
Druckansicht

Antje Kapinsky, Techniker Krankenkasse, ist Mitinitiatorin und Co-Vorsitzende von Spitzenfrauen Gesundheit e.V.. Der Verein wurde vor wenigen Monaten gegründet mit dem Ziel, eine Plattform zu bieten für mehr Gleichberechtigung bei Führungspositionen in Politik, Forschung und Lehre. Wir sprachen mit ihr.

In der breiten Debatte um die Corona-Pandemie und ihre Bewältigung erlangt eine schon länger im Raum stehende Forderung nach mehr Mitwirkung von Frauen im Gesundheitssystem – auf allen Ebenen – neues Gewicht. In diese Zeit fällt die Gründung des Vereins Spitzenfrauen Gesundheit. Was bewegt Sie dabei mitzuarbeiten?

Antje Kapinsky: Ich wundere mich schon lange darüber, dass im Gesundheitswesen der Anteil von Frauen an Führungspositionen eher noch geringer ist als in anderen Bereichen. Denn schließlich stellen die Frauen die überwältigende Mehrheit der Beschäftigten. Mein beruflicher Blick richtet sich dabei vor allem auf das Gebiet der Selbstverwaltung und Gesundheitspolitik, denn ich vertrete die Interessen einer großen Krankenkasse auf Bundesebene. In meinem Umfeld kenne ich viele kompetente und engagierte Frauen und weiß deshalb, dass die These, es gäbe nicht genügend Frauen für Führungsaufgaben, nicht stimmt. Trotzdem konnte man über die Jahre keine Verbesserung und zum Teil auch wenig Problembewusstsein feststellen. Deshalb habe ich beschlossen, aktiv zu werden. Es war nicht schwer, Mitstreiterinnen zu finden! Ermutigend ist, dass wir zunehmend politischen Rückhalt spüren, auch bei den Männern. Wir sind im Jahr 2018 mit einer Initiative gestartet und von Beginn an auf großes Interesse gestoßen. Sogar Minister Spahn hat uns Unterstützung zugesagt und dies auch in die Tat umgesetzt. Inzwischen gibt es für einige Gremien des Gesundheitswesens klare Vorgaben zur Partizipation von Frauen. Mit diesen Erfahrungen haben wir uns zur Gründung des Vereins entschlossen. Und wieder stellen wir fest: Wir sind auf dem richtigen Weg, denn wir wachsen rasant.

Wie will der Verein agieren?

Antje Kapinsky: Wir wollen mit verschiedenen Methoden und Instrumenten am Ende vor allem einen nachhaltigen Kulturwandel in den Organisationen und Gremien erreichen. Es soll selbstverständlich werden, dass Frauen Führungspositionen besetzen und Führungsgremien vielfältiger zusammengestellt werden. Deshalb fordern wir regulatorische Vorgaben, wie zum Beispiel Quoten oder die paritätische Besetzung von Auswahlkommissionen, Transparenzregeln und strukturelle Vorgaben für die Organisationen des Gesundheitswesens, wie das verpflichtende Angebot von Job-Sharing-Modellen bei Führungspositionen oder Mentoring-Programme, gezielt für Frauen. Es soll für Unternehmen peinlich werden, sehr wenige Frauen in Führung zu haben. Ganz wichtig ist auch, dass wir Frauen uns gegenseitig ganz aktiv unterstützen. Deshalb soll der Verein auch ein starkes Netzwerk sein.

Mit Blick auf die Gendermedizin haben wir festgestellt, dass es Frauen im Gesundheitssystem sind, die bisher vor allem die geschlechtersensible Forschung und Medizin angestoßen und umgesetzt haben. Warum setzt sich diese Erkenntnis, aus Ihrer Sicht, so zäh durch? 

Antje Kapinsky: In den Führungsgremien und Spitzenpositionen der Medizin und Forschung sind weiterhin vorwiegend Männer vertreten. Die von Frauen dominierte Pflege sitzt oft gar nicht mit am Tisch. Die Perspektive der Frauen fehlt systematisch. Und somit auch ein starker Impuls, die vorherrschende Sichtweise zu ändern. Es ist ein weites Feld zu spekulieren, warum die Gendermedizin ein Fach ist, dass vor allem bei Frauen Interesse weckt. Aber die konsequente Folge daraus sollte sein, dass mehr Frauen dort mitreden, wo strukturelle medizinische und versorgungspolitische Entscheidungen getroffen werden. Es geht um ein ausgewogenes Miteinander der geschlechtstypischen und professionellen Erfahrungshorizonte. Weil davon die ganze Gesellschaft profitiert, ist es auch in verfassungsmäßiger Sicht verhältnismäßig, wenn der Gesetzgeber dafür sorgt, mehr Ausgewogenheit zu erreichen.

Können Sie sich vorstellen, dass die Spitzenfrauen – nicht zuletzt durch die angestrebten neuen Kooperationen – auch in der Qualität der Gesundheitsversorgung etwas bewegen können – im Sinne einer besseren Medizin für alle?

Antje Kapinsky: Es geht uns bei den Spitzenfrauen um mehr Chancengleichheit, aber natürlich auch um die Qualität unseres Gesundheitswesens. Frauen erleben tagtäglich in ihrer beruflichen Praxis, was es an unserem Gesundheitswesen noch zu verbessern gäbe. Gerade weil sie es oft von innen, aus der Praxis kennen. In unserem Verein sind Frauen aus allen Sparten vertreten - Studierenden bis zu Vorstandsmitgliedern. Es sind Frauen aus der Medizin und Wissenschaft, Vertreterinnen der Gesundheitsberufe, der Pflege und des Versicherungswesens, Bundestagsabgeordnete, Journalistinnen und sonstige Interessierte. Außerdem schreiben wir die Kooperation mit anderen Organisationen groß. Die Frage der Qualität der Medizin und Versorgung ist implizit immer dabei. Wir wollen eine größere Diversität nicht um ihrer selbst willen, sondern weil wir damit bessere Ergebnisse für alle erzielen.

Das Gespräch führte Annegret Hofmann.
Mehr zum Thema