Nieren geschlechtsspezifisch: Weniger Medikamente – weniger Dialysen

Prof. Dr. med. Christiane Erley
Foto: St. Joseph Krankenhaus
Viele Fragen zur Geschlechtsspezifik in der Nephrologie sind noch nicht ausreichend beantwortet, meint Prof. Dr. med. Christiane Erley. Sie ist Chefärztin der Klinik für Nieren- und Hochdruckerkrankungen am St. Joseph Krankenhaus Berlin Tempelhof und im Vorstand der Kommission „Frau und Niere“ der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. Wir sprachen mit ihr.

Noch längst nicht alle medizinischen Fachgesellschaften haben sich der Geschlechterspezifik in ihrem jeweiligen medizinischen Fach angenommen. Wie kam es in der DGfN dazu?

Prof. Erley: Es sind vor allem zwei Aspekte, die die Kolleginnen in der DGfN veranlasst haben, eine solche Kommission zu bilden. Es geht uns natürlich um die Belange von Ärztinnen in unserem Fach, also um Work-Life-Balance und familiengerechte Arbeitsbedingungen. So hat sich zwar erfreulicherweise der Anteil von Nephrologinnen – schon auf Grund der zunehmenden Zahl von weiblichen Medizinstudierenden – generell erhöht, aber in den Leitungsebenen sind sie denoch zu selten zu finden. Es gibt deutschlandweit lediglich fünf Chefärztinnen in der Nephrologie, gerade mal zwei Prozent! Das ist natürlich ein Thema für unsere Kommission.
Ebenso wichtig ist es uns aber auch, eine medizinische Versorgung in unserem Fach voranzubringen, die Frauen wie Männern besser gerecht wird. Hier gibt es noch viele offene Fragen, die die Forschung beantworten muss. Auf solche Themen wollen wir aufmerksam machen und deren Lösung mit voranbringen.

Sie leiten eines der größten Nieren- und Bluthochdruckzentren in Deutschland. Hier wird sicher besonders offensichtlich, worin die Herausforderungen einer geschlechtsspezifischen Therapie bestehen.

Prof. Erley: Es gibt einige wesentliche biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau in Bezug auf die Nierengesundheit: So haben Männer eine 10- bis 15prozentig höhere Anzahl an Nierenkörperchen(Glomeruli) als Frauen. Damit kann bei ihnen mehr Primärharn aus dem Blut gefiltert werden, das ist positiv. Dennoch leiden Männer im Alter unter 70 häufiger als Frauen an Nierenerkrankungen und kommen somit häufiger an die Dialyse. Gerade jüngere Frauen werden bei einer Beeinträchtigung der Nierenfunktion weniger schnell dialysepflichtig als Männer im gleichen Stadium – vielleicht auch, das ist eine These, wegen ihrer höheren Therapietreue.
Genetisch bedingte Nierenerkrankungen, wie z.B. das Alport Syndrom, treten bei Frauen ebenfalls seltener auf als bei Männern.
In späteren Lebensjahren ändert sich das Bild. Dabei spielen offenbar die hormonellen Veränderungen eine Rolle. Insbesondere bei älteren Frauen macht sich dann auch die geringere Filterleistung ihrer Nieren bemerkbar. Wenn Medikamente z. B. gegen Bluthochdruck, Herzinsuffizienz oder bei Auftreten eine Diabetes mellitus in gleicher Dosierung für beide Geschlechter verabreicht werden, kann dies für diese Patientinnen negative Folgen haben. Sie kommen dann mit durch Medikamente geschädigte Nieren zur Dialyse zu uns. Hier besteht also erhöhter Forschungsbedarf, aber auch die Notwendigkeit einer höheren Achtsamkeit bei der Medikamentenverabreichung.

Gehen wir von dem Fall aus, dass eine Dialyse unumgänglich ist. Ist das Vorgehen bei Mann und Frau dann gleich?

Prof. Erley: Eine Fließbandarbeit ist das nicht, wird es nie sein.
Das beginnt beim Legen eines Shunts, des Gefäßzugangs, der dafür sorgt, dass die Dialyse gut funktioniert. Das ist immer ein ganz individueller Vorgang, zugeschnitten auf die Patientin, den Patienten und ihre, seine ganz individuellen Voraussetzungen. Gerade hier sind geschlechtsspezifische Ansätze und Lösungen gefragt. Wir stellen oft fest, dass gerade Frauen hier nicht optimal versorgt werden. Sie erhalten, aus welchen Gründen auch immer, öfter einen Katheter statt eines Shunts und sind damit einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt.

Rund 8 000 Menschen warten in Deutschland auf eine Spenderniere. Dabei beobachten wir ein Phänomen: 70 Prozent aller Lebendspenderorgane stammen von Frauen, aber nur 30 Prozent der Empfänger sind Frauen....

Prof. Erley: Ich erkläre das auch mit einem altruistischen Selbstverständnis von Frauen – zu helfen, aber nicht um jeden Preis Hilfe entgegenzunehmen. Übrigens beginnt das oft schon damit, dass Frauen häufiger eine Dialyse oder Transplanation verweigern, auch um niemand zur Last zu fallen. Im Fall der Transplatation kommen weitere mögliche Probleme hinzu: Es kann sein, dass es bei Frauen aufgrund einer höheren Antikörperzahl schwieriger ist, eine geeignete Niere zu finden. Auch dies ist eine Herausforderung an die Medizin.

Dialyse und Transplantation stehen quasi am Ende einer mitunter langen Behandlungszeit. Welche Möglichkeiten sehen Sie, damit es gar nicht zu so solch einschneidenden Therapien kommen muss?

Prof. Erley:
Das ist in der Tat das Hauptproblem. Sicherlich haben wir in Bezug auf die Dialyse einen großen Schritt nach vorn gemacht. Wir haben leistungsfähige Einrichtungen. Wo es möglich ist, kann die Heimdialyse durchgeführt werden. Viele Patienten gehen auf Reisen, ihre Lebensqualität ist, im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten, viel besser geworden. Aber die Nierenersatztherapie bleibt eine ultima ratio, die es besser zu vermeiden gilt.
Ich habe die Problematik Medikation angesprochen, und das trifft vor allem, aber sicher nicht nur, auf ältere Frauen zu. Wir wissen von einer ganzen Reihe von Medikamenten, die auf lange Frist die Niere schädigen. Wir wissen aber auch, dass z. B. Östrogene nierenschützend wirken, auch das ist ungenügend untersucht.
Es muss also einfach viel mehr getan werden. Es fehlt immer noch der öffentliche, der politische Druck auf die Pharmahersteller, entsprechende geschlechterspezifische Studien durchzuführen und sie dann auch gemäß der Ergebnisse umzusetzen, in punkto Zusammensetzung, Dosierung usw. Auch die wissenschaftlichen Fachgesellschaften sind dabei in der Pflicht.
Die Gründe für Nierenerkrankungen sind vielschichtig, ich glaube also nicht, dass wir zukünftig auf Dialyse und Transplantation gänzlich verzichten können. Aber eine größere und sorgfältigere Differenzierung im Hinblick auf gegebene biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern und die Umsetzung der daraus resultierenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen Frauen wie Männern.

Das Gespräch führte
Annegret Hofmann.

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