Die Rolle von ACE2
Um in Körperzellen zu gelangen, heftet sich das Virus an eine zelluläre Serinprotease und an den ACE (Angiotensin converting enzyme)-Rezeptor. ACE ist ein membrangebundenes Protein, welches auf Zellen mehrerer Organe, ua. auch in der Lunge, vorhanden ist. Es wird durch bestimmte Metalloproteinasen inaktiviert. Blutspiegel von ACE2 wurden z. T. als erhöht bei Männern beschrieben, andere Autoren konnten dies nicht bestätigen. Die Beziehung zwischen ACE2 und COVID-19 bleibt auf Grund zahlreicher Studien mit widersprüchlichen Ergebnissen, was einzelne Organe angeht, weiterhin unklar.
In der Lunge ist ACE2 hauptsächlich in sekretorischen Zellen des Bronchialtraktes und den Typ II Alveolarzellen exprimiert. Tierexperimentelle Studien lassen vermuten, dass eine ACE-Aktivierung einen positiven Effekt bei einer Reihe von Lungenerkrankungen haben könnte. Ob hier Geschlechterunterschiede bestehen, ist nicht bekannt (wurde vermutlich nicht untersucht!). Daten aus präklinischen Studien zeigen widersprüchliche Ergebnisse, was die Expression sowohl des Rezeptors als auch von ACE2-Aktivität betrifft.
Biologisches Geschlecht und Hormone beeinflussen die Kaskade des Renin-Angiotensin-Systems an vielen Stellen: ACE Aktivität steigt z.B. nach Ovarektomie und fällt nach Orchiektomie - ein Hinweis auf die geschlechtsgebundene ACE-Aktivität. Ob eine klinische Relevanz aus mehreren Studien mit Männern und Frauen, die z. T. widersprüchliche Ergebnisse haben, herauskristallisiert werden kann, bleibt offen.
Die Oberflächen-Serin-Protease TMPRSS2 begünstigt den Viruseintritt in Köperzellen und wird hauptsächlich in der Prostata exprimiert, ihre Funktion und Präsenz in Lungenzellen ist unbekannt. Sie wird durch Androgene hoch reguliert.
Infektionsrisiko und Ko-Morbiditäten
Die Immunantwort auf virale Infektionen ist geschlechterspezifisch, wie zahlreiche Studien zeigen: Sexualhormone beeinflussen die Funktion von Immunzellen im Blut und lymphatischen Gewebe und am Ende von Reaktionskaskaden die Ausschüttung von Cytokinen und Chemokinen. Geschlechterunterschiede könnten zudem durch unterschiedliche genetische Faktoren betreffs immunologischer Proteine eine Rolle spielen.
Die Bedeutung von genderbezogenen Risikofaktoren, wie das direkte Infektionsrisiko (Frauen als „care givers“), dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Andererseits sind viele Ko-Morbiditäten geschlechtergebunden mit meist höherer Prävalenz bei Männern: COPD, Hypertonie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch Rauchen und Alkoholkonsum. Vernachlässigung von Präventionsmaßnahmen und späteres Aufsuchen von medizinischer Hilfe sind ausgeprägter bei Männern als bei Frauen. Sorgfältige Anamnesen (kardiovaskuläre Risikofaktoren, sozioökonomischer Status, Menopausendaten, Schwangerschaften, hormonelle Kontrazeption, postmenopausale HRT , Krebserkrankungen, Medikamentenvorgeschichte, etc.) müssen erhoben und ausgewertet werden, um die bis jetzt bekannten Geschlechterunterschiede weiter aufzuklären.
Unterschiede bei Impfungen
Bei einer Reihe von Impfungen (Influenza, Gelbfieber, Masern, Herpes u.a.) antworten Frauen, vor allem im jüngeren Alter, mit einer stärkeren Antikörperproduktion, höherem Anstieg von IL-6 und stärkeren Nebenwirkungen als Männer.
Therapieversuche wurden mit einer ganzen Reihe von Substanzen durchgeführt (Remdesivir, Hydroxychloroquine, einen Il-6-Inhibitor, u.a.), jedoch ohne eindeutigen Erfolg. Nebenwirkungen traten vor allem bei Frauen auf (auch bei Ritonavir, Lopinavir). Hydroxychloroquine wurde kürzlich vom Markt zurückgenommen, welcher Art die starken Nebenwirkungen waren, wurde nicht im Detail mitgeteilt (waren es Torsades de Pointes, die vorwiegend bei Frauen auftreten?). 11 Medikamente sind tabellarisch mit ihren geschlechterspezifischen Unterschieden, Nebenwirkungen, etc. in der Publikation aufgeführt.
Fazit: Die Sex- und Gender-gebundenen Ungleichheiten, die durch die gegenwärtige Pandemie sichtbar geworden sind, verlangen die Berücksichtigung geschlechterspezifischer Daten bei der Bekämpfung von Pandemien (und nicht nur dort). Die Gesundheitssysteme haben bislang den Einfluss von Sex und Gender in ihren Anstrengungen bei der Bekämpfung von Epidemien, Ausbrüchen und Pandemien vernachlässigt. Dies muss sich ändern!
https://doi.org/10.1186/s13293.020-00304-9