Präventive Programme geschlechtersensibel gestalten

„Gender Aspekte in der Individualisierten Medizin“ ist Thema einer hochkarätig besetzten Fachtagung der Stiftung Alfried Krupp Kolleg Greifswald. Wir sprachen mit Dr. med. Elpiniki Katsari, Herzchirurgin und Mitorganisatorin der Fachtagung.

Dr. Katsari
Frau Dr. Katsari, ist es nicht selbstverständlich, dass individualisierte Medizin die Unterschiede zwischen den Geschlechtern einschließt?

Dr. Katsari: Es ist schon zu erwarten, dass die individualisierte Medizin sich auch mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Vorsorge, Diagnostik und Therapie der unterschiedlichen Erkrankungen beschäftigt. Allerdings wurde bis jetzt dem Individuum eher eine neutrale Identität vergeben und über sein Geschlecht kaum ein Wort verloren. Bei den bereits vorhandenen Studien wird wenig nach Geschlecht differenziert.

Das Greifswalder Forschungsvorhaben GANI_MED will mit einer individualisierten Medizin eine bessere Gesundheitsversorgung befördern helfen. Welche Aspekte sind dabei für eine geschlechterspezifische Medizin besonders wichtig?

Dr. Katsari: Im Rahmen des GANI_MED Forschungsprojekts wird eine erhebliche Menge von Daten unter anderem mittels molekularbiologischer Untersuchungen und bildgebender Verfahren erhoben und je nach Fragestellung analysiert. Bereits vorliegende große Kohortenstudien, z.B. Framingham, PROCAM oder KORA, zeigten, dass signifikante Unterschiede im Stoffwechselprofil von Männern und Frauen bestehen. Die Unterschiede betreffen vor allem Fette, Aminosäuren und Ester-Verbindungen, mit der Folge, dass beide Geschlechter z.B. unterschiedlich Pharmaka metabolisieren. Daraus folgt, dass wir auch geschlechtsspezifische Ansätze zur Therapie von Erkrankungen benötigen.
Auf der anderen Seite setzt sich indiviualisierte Medizin das Ziel, genauere Voraussagen über Krankheitsrisiken und -prognosen einzelner Patientengruppen zu ermöglichen. Das bedeutet letztlich, wir brauchen auch geschlechtersensibel präventive Programme, um beide Geschlechter zu erreichen und das Bewusstsein für die Eigenverantwortung für Gesundheit zu steigern.

Sie sind Herzchirurgin, und gerade bei den kardiovaskulären Erkrankungen haben geschlechterspezifische Betrachtungsweisen schon Einzug gehalten. Was können andere medizinische Disziplinen von der Kardiologie lernen?

Dr. Katsari: Die bereits gewonnenen Forschungserkenntnisse in der Kardiologie haben uns gelehrt, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der Vorsorge, Diagnostik und Therapie von Frauen und Männern existieren. In vielen anderen Fächern, z.B. in der Pharmakologie, Nephrologie, Gastroenterologie, Neurologie, Epidemiologie, gewinnt der Genderaspekt zunehmend an Bedeutung. Es ist ein wesentlicher Qualitätsgewinn in der medizinischen Forschung, wenn beide Geschlechter angemessen in Untersuchungen einbezogen werden. Wenn man seriös über effektivere Präventions- und Therapiemaßnahmen spricht, muss man den Faktor Geschlecht berücksichtigen.

Die Fachtagung in Greifswald will den Diskurs um eine geschlechtsspezifische Medizin weiter vorantreiben? Welche Teilnehmer und streitbaren Referenten erwarten Sie?

Dr. Katsari: Ziel der Tagung ist es, das GANI_MED-Projekt als Plattform national und international für die Integrierung von geschlechterspezifischen Merkmalen in die individualisierte Medizin zu nutzen. Mit der Unterstützung des Medizinisches Dekans der Ernst Moritz Universität Greifswald, Prof. Hajo Kroemer, und des GANI_MED Konsortiums ist es gelungen, die GANI_MED Wissenschaftler/innen zu motivieren, sich aktiv bei der Tagung zu beteiligen. Dazu eingeladen sind ausgewählte universitäre und außeruniversitäre Experten und Expertinnen aus Deutschland und Österreich aus den Bereichen Gender Medizin, Ethik, Wissenschaftsforschung und Gesundheitswesen, die an renommierten Forschungseinrichtungen arbeiten. Die Keynote Lecture hält Frau Prof. Vera Regitz-Zagrosek, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin und Gründungspräsidentin der International Society for Gender Medicine. Im Rahmen der Tagung soll daher der interdisziplinär wissenschaftliche Austausch durch Referate und Diskussionsrunden sowie die Kooperation und Vernetzung von Expert/innen ermöglicht werden.

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