Prof. Dr. Marina Backhaus:
Auch in Sachen Rheuma und Geschlecht wäre
mehr ärztlicher Austausch sinnvoll

Interview
26.10.2020
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Prof. Dr. Marina Backhaus ist Chefärztin der Abteilung Innere Medizin – Rheumatologie und Immunologie der Parkklinik Berlin-Weißensee. Die Ärztin betreut auch eine Spezialsprechstunde für Rheumapatientinnen mit Kinderwunsch.

Kommen chronische Erkrankungen wie Rheuma in Zeiten von Covid-19 nicht zu kurz?

Prof. Backhaus: Wir wissen ja, dass Menschen mit Vorerkrankungen, und hier seien vor allem Herz-Kreislauf-Krankheiten oder auch Krebs genannt, besonders gefährdet sein können. Bei ihnen muss man befürchten, dass eine Infektion mit dem Corona-Virus besonders schwer verläuft bzw. auch Folgeerkrankungen nach sich zieht. Was rheumatische Erkrankungen angeht, das haben die vergangenen Monate gezeigt, kann man im Großen und Ganzen Entwarnung geben. Nach den aktuell vorliegenden Daten haben sich Rheumapatienten bislang nicht häufiger mit dem Corona-Virus angesteckt als andere Menschen. Vor allem bei medikamentös gut eingestellten Patienten mit einer rheumatisch-entzündlichen Erkrankung ist eine Corona-Infektion genauso gut behandelbar wie bei nicht Betroffenen. Wichtig ist der Hinweis, Medikamente nicht abzusetzen und immer im engen Kontakt mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin zu bleiben.

Womit wir auch gleich bei „unserem“ Thema wären ... Sind Frauen und Männer mit Rheuma in Bezug auf Medikamente gleich gut versorgt und eingestellt?

Prof. Backhaus: Das wird ja bereits seit einigen Jahren diskutiert. Eine ganze Reihe derjenigen Erkrankungen, die unter dem Begriff Rheuma erfasst sind – und das sind etwa 450! – betreffen in großer Mehrzahl Frauen. Insbesondere sind das Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis, die sehr häufig ist, oder auch Lupus erythematodes, zwar relativ selten, aber eben auch als Frauenkrankheit bekannt. Genetische Variationen spielen bei der Entstehung ebenso eine Rolle wie die Hormone. Der jeweilige Verlauf der Erkrankung, mögliche Unterschiede in der Versorgung und die Medikation sind ebenfalls vom Geschlecht mitbestimmt. Hier benötigen wir aber noch viele Studien und weitere Forschungsergebnisse, um zielgerichteter diagnostizieren und therapieren zu können. Solche Arbeiten sind in vollem Gange, zum Beispiel durch die Auswertung der Dokumentationen der Regionalen Kooperativen Rheumazentren und des deutschen Biologika-Registers RABBIT. Es ist zu hoffen, dass die über eine längere Zeit festgestellte Unterversorgung von Frauen – späterer Arztbesuch, vor allem direkt beim Rheumatologen, spätere Verordnung der modernen, hochwirksamen Biologika-Therapien – bald der Vergangenheit angehören.

Haben Sie eine Erklärung für diese Unterschiede?

Prof. Backhaus: Wie bei vielen anderen Erkrankungen, stehen geschlechtsspezifische Unterschiede auch bei den Rheuma-Erkrankungen erst seit kurzem im Fokus der Forschung und nicht zuletzt auch bei der Entwicklung von Medikamenten.
Aber ein anderer Aspekt gibt offenbar Impulse: Die Geschlechtsspezifik, die vor allem zunächst bei den kardiologischen Erkrankungen nachgewiesen wurde, hat entsprechende Auswirkungen, wenn man heute zunehmend die Zusammenhänge z. B. auch zwischen rheumatoider Arthritis (RA) – sehr häufig bei Frauen – und Herzinfarkt oder Schlaganfall erkennt. RA schädigt das Gefäßsystem im gesamten Körper! Eine konsequente Therapie der Grundkrankheit bessert nicht nur die rheumatoide Arthritis, sondern senkt auch das kardiovaskuläre Risiko. Hierbei bekannte – oder im Moment auch noch weniger bekannte – biologische oder soziale und psychologische Gründe für Krankheitsentstehung und -verläufe heranzuziehen, liegt auf der Hand.

Nicht zuletzt deshalb wünschen sich viele Expertinnen mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit ...

Prof. Backhaus: Das würde uns allen und vor allem natürlich den Patientinnen und Patienten einen Benefit bringen. Es fehlen neue Daten und Fakten, mehr Erfahrungsaustausch innerhalb der ärztlichen Fächer, es fehlt in den wissenschaftlichen Gremien, trotz der immer mehr Frauen im Medizinerberuf, die weibliche Expertise, die gerade auf die stärkere Beachtung der geschlechtsspezifischen Unterschiede drängt!
Und als Ärztin, die in der Sprechstunde und am Krankenbett unmittelbar mit den Menschen arbeitet, wünsche ich mir, dass neue Erkenntnisse viel schneller als bisher für der Praxis zur Verfügung stünden. Damit unsere Instrumentarien wirksamer werden.
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