Prof. Dr. Petra-Maria Schumm-Draeger:
Klinische Relevanz von Gendermedizin sollte unbestritten sein

Gendermedizin auf dem 123. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in wenigen Wochen in Mannheim: Kongresspräsidentin Prof. Dr. Petra-Maria Schumm-Draeger, München, freut sich, dass dieses wichtige Thema mit zwei großen Symposien ins Programm Einzug gefunden hat.

Zum ersten Mal bei einem Internistenkongress gehören „Genderspezifische Aspekte in Diagnostik und Therapie“ zu den explizit genannten Schwerpunktthemen. Sie selbst sind als Internistin und Diabetologin mit dieser Problematik schon immer verbunden. Hat sich die Kongresspräsidentin dafür besonders stark gemacht?

Prof. Schumm-Draeger: Selbstverständlich! Es ist mir ein besonderes Anliegen, vor allem auch, weil ich weiß, wie wichtig – und wie schwer – es ist, die neuen Erkenntnisse aus der Forschung in die diagnostische und therapeutische Vorgehensweise zu implementieren. Wir haben dem Internistenkongress 2017 das Leitthema „Versorgung der Zukunft: Patientenorientiert, integriert und ökonomisch zugleich“ gegeben. Ich denke, dass die Genderspezifik dem voll Rechnung trägt. Sie veranlasst uns, Frauen und Männer ihrem Geschlecht entsprechend und damit patientenorientiert zu behandeln, das Wissen verschiedener Fächer dabei ökonomisch sinnvoll nutzend. Mit der Gendermedizin haben wir einen Fundus, der längst nicht ausgeschöpft ist und quasi täglich neue Daten und Fakten anbietet. Im Interesse von Patientinnen und Patienten.

Aus 2014 liegt eine Umfrage des Instituts inav vor, bei der zur Anwesenheit der Gendermedizin in der Regelversorgung befragte Mitglieder der DGIM in der großen Mehrheit mit „nein“ antworteten. Bewegt sich trotzdem was?

Prof. Schumm-Draeger: Im Prinzip schon. Immerhin haben bereits damals bereits 20 Prozent der Ärztinnen und Ärzte geantwortet, sie wendeten genderspezifische Versorgungskonzepte an. Das trifft insbesondere auf den kardiovaskulären Bereich zu. Hier finden wir die Vorreiter, korrekter die Vorreiterinnen. Diese Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen werden auf unserem Kongress auch präsent sein. Aber natürlich ist es richtig, dass wir mehr Tempo brauchen. Die klinische Relevanz von Gendermedizin sollte für alle Fächer unbestritten ein. Nehmen wir das Metabolische Syndrom. Dieses gefährliche Zusammenspiel von mehreren Faktoren – Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen – führt nicht nur auf kurzem Weg zum Diabetes Typ 2, sondern gleichermaßen zu schwerwiegenden Herz- und Gefäßerkrankungen. Hier baut sich – mit einer immer übergewichtigeren Gesellschaft – eine Lawine auf. Frauen mit Adipositas, Typ 2 Diabetes und Metabolischem Syndrom haben bereits vor der Menopause nicht mehr den Schutz der Hormone und sind schon dann mehr gefährdet als Männer. Wir brauchen eine entsprechende Frühdiagnostik, verbunden mit wirklich wirksamen präventiven Angeboten für diese Risikogruppe. 

Gerade die wirksame Prävention erweist sich in der Praxis als das schwer zu Machende ...

Prof. Schumm-Draeger: Ich glaube, dazu bedarf es nicht zuletzt neuer Formen des Zusammenwirkens verschiedener Professionen, wie sie bis jetzt in Deutschland noch nicht zustande gekommen sind! Solche Prävention beginnt ja ganz früh, in der Kita, in der Schule, in den Familien, durch Erzieher, Lehrer, im Sport – und mit Ärztinnen und Ärzten. Wir brauchen vielleicht eine Art große Koalition für ein gesundes Leben, die sich nicht in großartigen Sonntagsreden und Appellen erschöpft. Das ist vielleicht nicht zuletzt ein Thema, zu dem wir mit den Abgeordneten des zu wählenden neuen Bundestages diskutieren sollten. 
Ich bin gespannt, wie die Komplexität der Thematik unseres DGIM-Kongresses bei den Teilnehmern ankommt, und ob wir diese Denkansätze in unseren ärztlichen Alltag tragen können.

Das Gespräch führte Annegret Hofmann
siehe auch:  www.dgim.de