Professorin Bettina Pfleiderer:
Die Pandemie hat Folgen für Gesellschaft und Medizin

Interview
27.02.2021
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Wird die Pandemie unsere Welt, die Medizin verändern, verbessern? Wir sollten die Erfahrungen dieser Zeit nutzen, meint Professorin Dr. Dr. Bettina Pfleiderer. Die Naturwissenschaftlerin und Ärztin ist Mitglied unseres Beirates und von G3-Arbeitsgemeinschaft für moderne Medizin. Als Past-Präsidentin des Weltärztinnenbundes ist sie immer noch gefragte Referentin in aller Welt. Wir sprachen mit ihr im Vorfeld unserer internationalen Tagung „Pandemie und Gendermedizin: Prävention und Gesundheitsförderung neu gedacht“, die 16. bis 18. September 2021 am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald stattfindet.

Wir sind noch mitten in der Pandemie, viele Fragen dazu sind längst nicht beantwortet, andere tun sich auf. Zum Beispiel darüber, ob und was die Erfahrungen der Pandemie verändern könnten ...

Prof. Pfleiderer: Ich glaube, dass sich viel verändern wird. Dass wir in den letzten zwölf Monaten nicht mehr unbeschwert in den Urlaub fliegen konnten, ist sicher zunächst eine Einschränkung persönlicher Bewegungsfreiheit, aber mit Blick auf Umwelt und Klima auch in Zukunft notwendig und sollte zu bewussteren Entscheidungen führen. Ich hoffe, dieser Gedanke setzt sich durch. 

Viele Kontakte, auch internationale Konferenzen und Meetings fanden und finden virtuell statt, ich habe, noch immer sehr eingebunden mit der Arbeit des Weltärztinnenbundes, selbst vielfach an solchen teilgenommen. Anfangs dachte ich, dass dies nur Nachteile haben würde, aber ich erkenne zunehmend, dass es auch neue Möglichkeiten und damit Türen öffnet. Beispielsweise konnte ich dadurch kürzlich auf der Jahrestagung der indischen Gynäkologen und Gynäkologinnen über die negativen Folgen der Pandemie in der Gruppe der schwangeren Frauen und Mädchen sprechen und warum gerade diese einem erhöhten Risiko von häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. In wenigen Wochen nehme ich an einer Hybridveranstaltung des nigerianischen Ärztinnenverbundes virtuell teil. Natürlich fehlt der persönliche Kontakt, fehlen die freundschaftlichen Begegnungen, aber hat die konstruktive Arbeit gelitten? Ich glaube nicht in dieser Ausschließlichkeit. In bestimmter Weise kann man sicherlich virtuell gut miteinander arbeiten. Aber was doch fehlt, sind die Gespräche in den Pausen und beim gemeinsamen Essen, das Verstehen des kulturellen Kontexts und der Raum für Diskussionen; virtuell nur bedingt möglich. Meine Vorstellung ist, dass wir uns nach dem Ende der Pandemie zwar wieder persönlich begegnen, aber dass sich das mit virtuellen oder hybriden Treffen abwechseln könnte. 

Mich beschäftigen die Berichte über eine Zunahme von häuslicher Gewalt, oft unzumutbare Belastungen gerade für Frauen im Homeoffice bei gleichzeitiger „Beschulung“ der Kinder, die Anforderungen, denen die Beschäftigten im Gesundheitssystem, und auch dies sind wieder vor allem Frauen, zum Beispiel auf den Intensivstationen ausgesetzt waren. Die Pandemie zeigte, wie weit wir in vielen Fragen noch von Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern entfernt sind! Ich kann nur hoffen, dass diese Anerkennung der geleisteten Arbeit von Frauen - nicht nur während, sondern natürlich auch vor der Pandemie - nicht vergessen werden, wenn ein vermeintlicher „Alltag“ wieder beginnt.

Hat Corona die Medizin vorangebracht?

Prof. Pfleiderer:
Die Geschwindigkeit, mit der letztlich Impfstoffe entwickelt wurden, ist beeindruckend! Ich würde mir wünschen, dass die wissenschaftliche Debatte in all diesen Fragen so erfolgen könnte, dass Verunsicherungen bei denen, die dies ja täglich über die Medien verfolgen, nicht geschürt, sondern abgebaut werden. Ich finde, dass wir noch besser werden sollten, miteinander ins Gespräch zu kommen. 

Und ich beobachte letztlich auch, dass die Pandemie der geschlechtssensiblen Medizin einen Push gegeben haben könnte. In vielerlei Hinsicht. Bisher war es beim Neuauftreten von Erkrankungen aus meiner Sicht nicht so rasch registriert worden, wenn Unterschiede zwischen Männern und Frauen deutlich wurden. Im Fall des neuen Virus war es so. Die Zahlen zeigten, dass Männer und Frauen unterschiedlich häufig und schwer an Corona erkrankten. Das bietet nicht nur für die Therapie unterschiedliche und wirkungsvollere Ansätze, sondern auch für den Einsatz der Impfstoffe, für Strategien zu deren möglicher differenzierten Einsatz; dies betrifft auch Medikamente gegen schwere Verläufe beispielsweise von Covid-19. Ganz wichtig finde ich es auch, wenn diese Erkenntnisse bezüglich der vieldiskutierten Folgeschäden – ob körperlich oder mental – in Abhängigkeit von Geschlechteraspekten berücksichtigt werden.

Im vergangenen Jahr haben Journalistinnen und nicht zuletzt auch wir vom Netzwerk eine stärkere Präsenz von Wissenschaftlerinnen in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatte um die Pandemie eingefordert. Haben wir etwas erreicht?

Prof. Pfleiderer: Ja, ich denke schon, und auch das sollte ein Erfolg sein, der nicht mehr wegzureden ist. Man kann sicher darüber streiten, ob alle, die gehört wurden und werden, immer diejenigen sind, Männer wie Frauen, die die besten und sinnvollsten Lösungsansätze zu bieten hatten und haben. Aber immerhin – nach anfänglicher Männerdominanz zu Beginn der Pandemie - kommen jetzt auch Wissenschaftlerinnen, Ärztinnen, Soziologinnen, Kommunikationsfachfrauen und viele andere zu Wort. Dies hat den Debatten keinesfalls geschadet, die bisher unbekannteren Namen und Gesichter sollten wir uns merken.

Im Rahmen des Weltärztinnenbundes hat das Thema „Pandemie und Frauen“ unter weltweiten Gesichtspunkten noch eine ganz andere Dimension; da geht es beispielsweise um Menschenrechte wie z.B. fehlende Zugangswege zu Impfungen, um den Zusammenbruch von Gesundheitssystemen, und das nicht nur in Schwellenländern, und um die Entwicklung von Gestaltungsvisionen für die Zukunft. Auch hier bin ich auf die nächsten virtuellen Debatten gespannt. Zum Beispiel spreche ich auf einer Paneldiskussion des US-amerikanischen Ärztinnenverbandes, die sich am 8.März mit dem Thema Impfen und Geschlecht befassen wird. Eine Thematik, die lange vor der Pandemie schon im Raum stand. Wer weiß schon, dass in Deutschland die Zahl der weiblichen Impfskeptiker deutlich größer als die der Männer? Über die Gründe ist noch nicht genug bekannt. Daher - es gibt noch viel zu tun!

(Mit Prof. Pfleiderer sprach Annegret Hofmann.)
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