„Pandemie als Herausforderung an die Organisation von Gesundheit“
Moderation und Bericht:
Annegret Hofmann, Netzwerk „Gendermedizin & Öffentlichkeit“

Artikel
27.10.2021
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Öffentlicher Gesundheitsdienst wurde plötzlich wahrgenommen
Dr. Kristina Böhm, Potsdamer Amtsärztin, resümierte mit Blick auf die vergangenen eineinhalb Jahre der Pandemie, dass diese große Herausforderung an das Durchhaltefähigkeit der Systeme vor allem auch deren Schwächen deutlich gemacht habe. „Wir haben bemerkt, dass wir keine Ressourcen haben.“ Der Öffentliche Gesundheitsdienst sei bis dato Prinzip nicht wahrgenommen und nun plötzlich Anforderungen ausgesetzt gewesen, die zu stemmen er gar nicht die Voraussetzungen gehabt habe. „Wir rangieren irgendwo zwischen stationär und ambulant, und gerade in diesem Bereich hat sich der Föderalismus – unterschiedliche Informationsschienen und Weisungsebenen, Meldewege, Selbstverwaltung usw. – als großes Hemmnis erwiesen. „Noch dazu sind im ÖGD vor allem im Unterbau zu 90 Prozent Frauen beschäftigt, die in der Pandemie durch Homeoffice und Homeschooling noch besonders belastet waren – das darf nicht vergessen werden.“
Die Amtsärztin wünscht sich, dass diese komplizierte Gemengelage entflochten wird – und dass eine aus den Erfahrungen lernende Struktur geschaffen wird, die die nächsten Herausforderungen besser bewältigt. „Wir sind zudem noch nicht am Ende der Pandemie angekommen. Nehmen wir nur die im Moment uneindeutigen Regelungen beim Schulbetrieb oder ob nun G2 oder G3. Dies alles angesichts wieder steigender Infektionszahlen und des bevorstehenden Winters. Ich bin im Moment noch nicht allzu optimistisch. Vor allem wäre es wichtig, die Erfahrungen derer an der Basis, und hier gehört der ÖGD unbedingt dazu, anzuhören und zu beachten.“
Es sei im übrigen aus ihrer Sicht, so Dr. Böhm, nicht in erster Linie eine Frage des Geldes, die das die bestehenden Probleme im Gesundheitswesen lösen könne. Stärkere Wahrnehmung und Wertschätzung vieler Berufe, die vor allem von Frauen ausgeübt werden, sind eine wichtige – sicher gleichwertige Komponente – zur höheren Akzeptanz der Berufe im Gesundheitssystem.
 
Pflege braucht neue Kooperationen
Dem pflichtete Rosalie Heimke, Vorstandsmitglied im Berufsverband für Pflegeberufe Nordost e.V. und selbst in der ambulanten Pflege im brandenburgischen Niedergörsdorf tätig, bei. „Die Herausforderungen lagen für uns vor allem in den fehlenden Erfahrungen mit Corona und damit auch der Notwendigkeit, bestimmte Entscheidungen einfach treffen zu müssen, obwohl es wenige, gar keine oder mitunter auch widersprüchliche Informationen gab. Wir müssen den zu Pflegenden einen sicheren Hafen geben – aber wir können wir das, wenn uns dazu das Handwerkszeug fehlt. Es muss möglich werden, auch in solchen Situationen Pfade anzulegen, die die Lebenswirklichkeiten vieler einbeziehen. Das hoffe ich mir mit Blick auf die Lehren aus der Pandemie.“
Im Pflegebereich habe sich, wie in anderen des Gesundheitssystems, gezeigt, dass Informationsflüsse zu zäh und Kooperationen zwischen den Teilbereichen zu selten.

Spitzenfrauen können Gendermedizin voranbringen

Das ist einer der Gründe, warum der Verband Spitzenfrauen e.V., dessen Co-Vorsitzende Antje Kapinsky, Expertin für Gesundheitspolitik bei einer großen Krankenkasse, sich für mehr Frauen in den Führungsebenen der Gesundheitslandschaft einsetzt. „Die Pandemie hat gezeigt, dass die Kompetenzen von Frauen nicht nur zur Bewältigung der Situation nicht nur gebraucht, sondern besonders herausgefordert wurden. Hier muss es unbedingt neue Denkansätze geben – die dann auch realisiert werden. In Führungspositionen können Frauen Kompetenzen und Erfahrungen einbringen – und durchsetzen.“ Es habe erst des Drucks von Organisationen und Medien bedurft, um zu Beginn der Pandemie auch Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen zu lassen. „Die Gendermedizin, die zielgruppenorientierte medizinische Behandlung aller Geschlechter – wird von Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen besonders gefördert, das können Frauen in Spitzenpositionen tatkräftig unterstützen.“ Deshalb werde sich ihr Verband dafür einsetzen.

Gesundheitskompetenz stärken
Im Chat berichtete Aline Halhuber, Leiterin des Frauengesundheitszentrums Salzburg, über ihre Erfahrungen aus der Pandemie. „Es hat sich deutlich gezeigt, dass der Beratungsbedarf – Pandemie, Impfen, Familie - zugenommen hat. Wir haben deshalb neue Angebote – Schulungen, Ausbildung von Multiplikatorinnen besonders mit Blick auf die Frauen mit Migrationshintergrund, Workshops, Beratungssoftware – geschaffen. Auch die Zusammenarbeit mit Radiosendern wurde genutzt, um eine Stärkung der Gesundheitskompetenz von Frauen gerade in der Pandemie zu erreichen.
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