Prof. Dr. med. Sylvia Thun:
„KI ohne Frauen? Undenkbar!“

Interview
27.01.2020
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„Frauen und Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen“ – dazu diskutierten Expertinnen und Experten im Dezember in Berlin. Das Netzwerk SheHealth (s.a. NL Januar 2018) hatte in das Berlin Institut of Health (BIH) eingeladen, es ging u.a. um die Wahrnehmung von Aspekten der Gendermedizin bei der Entwicklung von KI-Projekten. Wir sprachen darüber mit BIH-Professorin Sylvia Thun, Leiterin der Core Unit eHealth und Interoperabilität, und fragten: Wo liegt das Problem?

Prof. Thun: Im Moment liegt es zum Beispiel darin, dass KI-Algorithmen wenig Genderaspekte berücksichtigen. Das kann für eine Nutzerin zu recht gravierende Fehlinformationen und -entscheidungen führen – in der Bewertung von Symptomen, in Bezug auf die darauf basierenden Therapieangebote usw. In der Digitalisierung potenzieren sich – im Vergleich zu Diagnose in Klinik und Praxis - fatalerweise falsche Ansätze durch die eingegebenen Daten.
Gendermediziner/innen sagt man damit nichts Neues, aber für IT-Menschen ist das manchmal eine unbekannte Größe: Wenn Algorithmen und Daten nur von Männern stammen, können die Aussagen in vielen Fällen einfach für Frauen nicht zutreffend sein. Es gibt hier noch wenige rechtliche Vorgaben z. B. für Entwickler, Hersteller von Apps.

Also auch hier: Einbeziehung von Frauen – nicht nur bezüglich der Datenlage, sondern möglicherweise auch in Entwicklungen und Entscheidungen ...

Prof. Thun: Das ist ja das wichtigste Anliegen unseres Netzwerkes SheHealth. Frauen werden nicht adäquat in die Entscheidungsgremien eingebunden. Das trifft z. B. auch auf die KI-Enquetekommission des Bundestags zu, auch wenn diese erfreulicherweise von einer Frau geleitet wird. Es muss uns stärker als bisher gelingen, mehr Frauen für die Themen der Digitalisierung und die Daten-KI zu gewinnen. Die Medizininformatik benötigt mehr Frauen in Führungspositionen und auf hohen wissenschaftlichen Professuren. Die Gremien, die sich mit KI beschäftigen müssen, paritätisch besetzt werden.

Wo bahnen sich Kooperationen der IT-Frauen mit Gendermedizinerinnen an?


Prof. Thun: Digital Health Frauen arbeiten seit 2016 mit den Gendermedizinerinnen zusammen. Es gibt einen regen Austausch und gemeinsame Veranstaltungen. Es sollten jedoch mehr als bisher Forschungsprojekte gefördert werden, die die o.g. Aspekte näher untersuchen.
Wir haben bei unserer Dezembertagung ein Memorandum geschlechtergerechte KI angekündigt, das Forderungen an die Politik und Wissenschaft enthalten wird, um die Digitalisierung und die KI gendergerecht zu gestalten.

Das Gespräch führte
Annegret Hofmann
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