DÄB-Wissenschaftspreises 2019 an Dr. med. Ute Seeland:
Einfluss von Geschlecht und oraler Kontrazeption auf die arterielle Gefäßfunktion

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13.11.2019
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Den mit 4.000 Euro dotierten DÄB-Wissenschaftspreis 2019 erhielt Dr. Ute Seeland vom Institut für Geschlechterforschung in der Medizin der Charité in Berlin für ihre Forschungsarbeit „Geschlechterunterschiede bei der arteriellen Pulswellenreflektion und der Einfluss endogener und exogener Sexualhormone: Ergebnisse der Berliner Altersstudie II“. Die Arbeit entstand in Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen der Klinik für Nephrologie und dem Interdisziplinären Stoffwechsel-Zentrum der Charité-Berlin. Koautor/innen sind Ilja Demuth, Vera Regitz-Zagrosek, Elisabeth Steinhagen-Thiessen und Maximilian König.

Bei der Hypertonieentwicklung spielen der mit dem Alter zunehmende Verlust der Gefäßelastizität der zentralen Arterien vom elastischen Typ („Gefäßsteifigkeit“) und die funktionelle Einschränkung der Vasomotion der kleineren und mittleren Arterien vom muskulären Typ („endotheliale Dysfunktion“) eine Schlüsselrolle. Eine Abnahme der Gefäßelastizität führt zu einem Anstieg des systolischen peripheren und zentralen aortalen Blutdrucks, insbesondere beim weiblichen Geschlecht. 

Die Einnahme oraler Kontrazeptiva (Pille) und postmenopausaler Hormontherapien greifen in die Regulation des Sexualhormonstatus bei Frauen ein. Ein Teil der Frauen entwickelt eine Hypertonie.
Geklärt werden sollte, ob es eine Assoziation gibt zwischen der Einnahme sexualhormonhaltiger Präparate und der Pulswellenreflektion. Das Ziel ist es, eine verbesserte Risikostratifizierung für Frauen anzubieten, die Hormonpräparate einnehmen wollen. 

Untersucht wurden 400 Frauen und 590 Männer der Berliner Altersstudie II (BASE-II), die in zwei Altersgruppen 22-35 Jahre und 60-82 Jahre eingeteilt wurden. Bei beiden Geschlechtern wurde eine Zunahme der Pulswellengeschwindigkeit (PWV) und des Augmentationsindex (AIx) mit dem Alter beobachtet. Der AIx lag allerdings bei Frauen, unabhängig vom Alter, höher als bei Männern. Ein Anstieg des AIx ist bedingt durch eine schnellere Reflektion der Pulswelle und die Druckerhöhung der systolischen Vorwärtswelle aufgrund eines erhöhten Gefäßtonus (endothelialen Dysfunktion) der kleinen und mittleren arteriellen Gefäße.

Welche Faktoren diesen Geschlechterunterschied bedingen, war nicht bekannt, daher untersuchte Dr. Seeland den Einfluss exogener und endogener Sexualhormone auf die Pulswellenreflektion von prä- und postmenopausalen Frauen. Bei Frauen, die orale Kontrazeptiva (OCPs) eingenommen hatten, lagen die AIx Werte signifikant höher im Vergleich zu Frauen ohne OCPs. Unter Berücksichtigung der Einflussfaktoren wie Alter, BMI, Rauchen und zentraler Blutdruck lag die Gruppendifferenz bei 4,41 (95% CI 1,61-7,22, p= 0.002). Der endogene Estradiol (E2) -Spiegel wurde in der Gruppe mit OCP (94% Kombination aus Ethinylestradiol und Progestagenen) im Vergleich zur Nicht OCP-Gruppe signifikant niedriger gemessen. Die multivariable lineare Regressionsanalyse bestätigte die inverse Assoziation von AIx und dem E2-Serumspiegel. Bei einer Abnahme des endogenen Estradiolspiegels um ein Viertel stieg der AIx um 1,72. Beim Gruppenvergleich der postmenopausalen Frauen mit und ohne Hormontherapie zeigte sich kein Hinweis auf eine Assoziation zwischen der exogenen Hormonzufuhr, der endogenen E2 Konzentration im Serum und den Messungen der arteriellen Pulswellenreflektion.

Aus Sicht der Preisträgerin könnte ein frühzeitiges Erkennen einer Veränderung der arteriellen Gefäßfunktion unter der Einnahme Ethinylestradiol- und Progestagen-haltiger oraler Kontrazeptiva dazu beitragen, Frauen zu identifizieren, die gefährdet sind eine Hypertonie zu entwickeln. Die Messung des Augmentationsindex vor und nach der Einnahme eines oralen Kontrazeptivums sollte von Hausärztinnen und Gynäkologinnen angeboten werden.

Der Wissenschaftspreis wurde anlässlich des 36. Kongresses des Deutschen Ärztinnenbundes vom 17. bis 20. Oktober 2019 in Erfurt verliehen.
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