Prof. Gromnica-Ihle fragt sich, ob das, was Ärzte und Pharmazeuten meinen, alles für den Menschen zu tun, auch das ist, was der Einzelne will. Gerade aus der Rheumatologie habe sie erfahren, dass Frauen und Männer bei gleicher Krankheit ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben. Moderne Medizin bedeute auch ein Miteinander von Arzt und Patient. Das setze den aufgeklärten, den informierten Patienten voraus, eine gesellschaftliche Aufgabe, denn beispielsweise die Pharmaindustrie habe daran geringes, bzw. einseitiges Interesse.
Immer noch werden auch in der Rheumatologie geschlechtsspezifische Unterschiede zu wenig beachtet. Prof. Gronica-Ihle nennt als Beispiel den Morbus Bechterev. Früher v.a. eine Männerkrankheit, befällt er heute Männer und Frauen zu gleichen Teilen. Da Wissenschaft und Lehre das immer noch nicht akzeptieren, dadurch viele Ärzte das auch nicht wissen, wird die Bechterev-Frau viel später diagnostiziert. In der Regel 2 Jahre später als der Mann. Dann nimmt die Krankheit schon einen ganz anderen Verlauf.
"Wir haben", so Prof. Gromnica-Ihle, "keine unterschiedlichen Strategien für Frauen und Männer. Wir haben keine Leitlinie, die das Wort 'Geschlecht' überhaupt enthält, wir haben keine Therapie-Empfehlungen, Fachinformationen, wo getrennt nach Frauen und Männern untersucht wird. Das ist für mich eine Diskriminierung unserer weiblichen Patientinnen."
Statement Prof. Gromnica-Ihle: "Forschungsmäßig sind wir bezüglich der Gender Medizin im Stadium des Sammelns. Wir sammeln Fakten, wir suchen nach Unterschieden. Und da denke ich, kann es auch nützlich sein, wenn wir nur nicht die Frau als Ganzes sehen, sondern die Frau post- und menopausal. Wenn wir dann aber gesammelte Ergebnisse in praktisch anderes Handeln umsetzen, dann muss neben dem Berücksichtigen des Geschlechts auch die Berücksichtigung des Alters eine Rolle spielen oder die Berücksichtigung von Migranten, oder was auch sonst. Wir müssen Bundesgenossen in einer spezifisch orientierten Gesundheitspolitik finden, die uns raus bringt aus der Gender- ist gleich Frauen-Medizin. Ich will nicht der individualisierten Medizin das Wort reden, denn das ist heute noch ein Heilversprechen, was zum heutigen Zeitpunkt nicht zu erfüllen ist. Aber ich meine, genauso wie auf das Geschlecht spezifisch zugegangen werden muss, muss auch auf den alten Mann und die alte Frau zugegangen werden. Und da finden wir auch mehr Bundesgenossen für diese Gruppen-Medizin."
Prof. Dr. Erika Gromnica-Ihle,
Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga
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