Die Münchner Psychiaterin Anne-Maria Möller-Leimkühler hatte beim Münchner Expertengespräch (s.a. Interview auf Seite 1) von einer Medikalisierung und Überdiagnostizierung von Frauen bezüglich Depressionen gesprochen. Zu diesem Thema liefert auch eine neue Publikation Argumente und Fakten, die vor kurzem bei Knaus erschien. Die beiden Autorinnen – Luitgard Marschall, Pharmazeutin, und Christine Wolfrum, Wissenschaftsjournalistin – widmen sich darin dem „übertherapierten Geschlecht“, so der Titel, und legen damit einen „kritischen Leitfaden für die Frauenmedizin“ vor. Sie zeigen, wie an sich positive Charakteristika von einer profitorientierten Gesundheitsindustrie ausgenutzt werden – Frauen stellen sich stärker als Männer dem Thema Gesundheit und Krankheit, sprechen offener über Leiden, sind offener für (leider oft unnötige) Therapien wie auch für Prävention. Durch Angebote der Pränataldiagnostik und durch Kaiserschnitte, Igelleistungen, Schönheitsmedizin, Hormonversprechen. Nicht zuletzt werden Depressionen bei Frauen viel häufiger diagnostiziert als bei Männern, werden Medikamente verordnet, die zu Abhängigkeiten führen. Möller-Leimkühler bezeichnete diese aktuelle Datenlage als einen Artefakt, der sich durch alle – auch gesundheitspolitischen – Darlegungen zieht. Umdenken ist Gebot der Stunde, verantwortungsvoller Umgang mit in der Diagnostik gewonnenen Erkenntnissen ist ebenso notwendig wie mit Verordnungen von Medikamenten und Therapien. Angesprochen sind Ärzt/innen ebenso wie Patient/innen. Für letztere ist das Buch der beiden Autorinnen deshalb besonders zu empfehlen.
L. Marschall/Ch. Wolfrum „Das übertherapierte Geschlecht – ein kritischer Leitfaden für die Frauenmedizin“
ISBN: 978-3-8135-0758-4
288 Seiten, EUR 17,99