Aus unserer Corona-Mailbox

Artikel
25.05.2020
Karin Heisecke, Sozialwissenschaftlerin, Projektleiterin bei der MaLisa Stiftung Berlin:
„Wir beschäftigen uns insgesamt mit Geschlechterdarstellungen in den Medien, vor allem beim Bewegtbild. Die große Studie, die wir 2017 zum deutschen Film und TV veröffentlicht haben, hatte damals ziemlich viel Aufmerksamkeit bekommen. Nun sind wir gerade daran, die Corona-Berichterstattung mit Blick auf Geschlechterverteilung zu analysieren. Dazu wollten wir gern sehen, wie viele Virologinnen und Virologen es insgesamt in Deutschland gibt, und ob das Verhältnis im TV dem in der Realität entspricht.
Super, dass so viel Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt wird!
www.malisastiftung.org

Nicole Steck, Epidemiologin und Studienleiterin an der Universität Bern:
Ich bin seit eineinhalb Jahren mit dem Aufbau des CAS Sex- and Gender- Specific Medicine beauftragt, ein Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Bern und Zürich. Die Vorsitzende der wissenschaftliche Programmleitung des CAS ist Prof. Catherine Gebhard aus Zürich. Bei uns in Bern selber steckt die Gendermedizin noch in den Kinderschuhen und es gibt nur wenige einzelne entsprechende Projekte. Das Ziel des CAS ist denn auch primär, für das Thema zu sensibilisieren und in Forschung und Praxis entsprechende Fortschritte zu erzielen. Aufgrund von Corona mussten wir leider den Start des CAS-Weiterbildungsangebots auf März 2021 verschieben.
(CAS - Certificate of Advanced Studies ist ein komprimiertes Weiterbildungsangebot von Schweizer Universitäten und Fachhochschulen)

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Cathérine Gebhard
, die Programmleitungsvorsitzende des CAS in geschlechtsspezifischer Medizin, untersucht den Einfluss von „Sex“ und „Gender“ auf den Verlauf von COVID-19 – s. dazu auch auf NL Seite 7 – Bericht Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek!

ProQuote Medien:
„Wir wollen mehr Intensivmedizinerinnen sehen, die für uns die Pandemie einordnen und erklären. Wir wollen mehr Sozialwissenschaftlerinnen, Philosophinnen, Erziehungswissenschaftlerinnen, Wirtschaftswissenschaftlerinnen hören oder lesen, die für uns die gesellschaftlichen Auswirkungen analysieren“, erklärt die Vorsitzende des Vereins ProQuote Medien, Edith Heitkämper.
ProQuote Medien bittet deshalb gezielt Klinikdirektor*innen und Forschungsinstitute, jeweils Expertinnen aus den aktuell besonders gefragten Fachbereichen zu nennen. Die Namen werden auf der Seite
www.pro-quote.de/informieren/coronaexpertin/ 
gesammelt.

Deutscher Ärztinnenbund:
Die Corona-Pandemie wirft ein Schlaglicht auf mehrere ungelöste Probleme bei der Gleichstellung der Geschlechter – gerade im Gesundheitswesen. „Wenn die Entscheidungsträger nicht umgehend gegensteuern, drohen wir in vielen Bereichen bereits Erreichtes wieder zu verlieren“, verdeutlicht Dr. Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes e.V. (DÄB), in einer Pressemeldung des DÄB. Der Verband unterstützt daher die Stellungnahme zu „Frauen in der COVID-19 (SARS-CoV-2) Pandemie“ von Women in Global Health - Germany (WGH-GER) und die drei zentralen Forderungen, die in der Stellungnahme formuliert sind:
  • Frauen in Beratungs- und Entscheidungsgremien einbinden: Paritätische und interdisziplinäre Besetzung sowie Berücksichtigung der gesellschaftlichen Vielfalt in Expert*innenlisten, Gremien, Kommissionen, Beratungsstäben, Talk-Show Runden und auf Konferenzen.
  • Frauen in Gesundheitsberufen und der Pflege stärken: Faire Entlohnung und sichere Arbeitsbedingungen für Gesundheitsfachkräfte. Gleiche Verteilung der Pflegearbeit zwischen allen Geschlechtern und deren finanzielle Anerkennung.
  • Geschlechtersensible Daten und Forschung fördern: Konsequente geschlechter- und diversitätssensible Sammlung von Daten (vor allem in der Gesundheitsberichterstattung). Entscheidungen im Krisenmanagement auf Basis einer differenzierten Datenlage treffen.

    https://www.womeningh.org/operation-50-50

Nicht nur in der Corona-Krise systemrelevant: Medizinische Fachangestellte!
Zu unserem Interview im Newsletter April mit Prof. Ute Latza – „Nichts spricht gegen die Frau auf dem Kran!“ erhielten wir einen Brief von Hannelore König, 1. Vorsitzende geschäftsführender Vorstand des Verband medizinischer Fachberufe e.V. Sie schrieb uns, dass sie ein „Fan der Gendermedizin und des Newsletters“ sei, aber:
„Seit 1965 gibt es den staatlich anerkannten Ausbildungsberuf der Arzthelferin und seit 2006 sind wir Medizinische Fachangestellte. Die im Interview verwendete Berufsbezeichnung der Sprechstundenhilfe gibt es seit 1965 nicht mehr!“
Medizinische Fachangestellte erhielten schon jetzt viel zu wenig Wertschätzung, obwohl sie als systemrelevanter Beruf im Schutzwall vor den Kliniken sechs von sieben CORVID-19-Patienten gemeinsam mit den niedergelassenen Ärzten behandeln. „Sie sind besonders gefährdet, arbeiten häufig im Niedriglohnbereich und werden in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen.“ 

Unsere Interviewpartnerin Prof. Ute Latza schrieb uns dazu:
„ich muss Frau König völlig Recht geben: Frauenberufe sind auch oft schlecht benannt trotz anspruchsvoller Ausbildungsanforderungen und hoher Verantwortung und erfahren oft weniger Wertschätzung. Von mir jedenfalls hoch wertgeschätzt! Und umso mehr in Zeiten von SARS-CoV-2/COVID-19! Ich beziehe mich in meinen Ausführungen im Interview jedoch auf Auswertung des IAB aus dem Jahr 2010. Diese basiert auf einer Klassifikation der Berufe aus dem Jahr 1992 (KldB 1992), in der die Berufsordnung 856 mit „Sprechstundenhelfer“ angegeben wird. Die Wortwahl spiegelt also die Realität der vorliegenden Daten aus dem Jahr 2010 wider.“

Und noch bei Redaktionsschluss:
Prof. Dr. Sabine Oertelt-Prigione, Radboud-Universität Nijmegen, weist auf interessante Veröffentlichungen zum Thema Sex, Gender und COVID-19 hin:
Call zur Berücksichtigung von Sex und Gender in COVID-19 Trials
https://www.mdpi.com/1660-4601/17/10/3715
zu COVID-19 und Gewalt (Editorial und Review)
https://www.thelancet.com/pdfs/journals/eclinm/PIIS2589-5370(20)30092-4.pdf
https://www.cgdev.org/publication/pandemics-and-violence-against-women-and-children
hilfreich dabei könnten unsere E-Interventionen sein, wie:
https://bmcpublichealth.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12889-020-08743-0

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