Aus unserer Corona-Mailbox

Artikel
29.06.2020

Die Klinikerin

PD Dr. Irit Nachtigall ist Regionalleiterin Krankenhaushygiene der Helios-Kliniken in der Region Mitte-Nord und  leitende Ärztin Hygiene und Infektionsprävention im Helios Klinikum Bad Saarow.
Für sie waren die vergangenen Monate, wie für alle im Gesundheitsbereich, eine große Herausforderung.
„Konsequent veränderte und strengere Hygienemaßnahmen durchsetzen, Mitarbeiter/innen informieren und motivieren, eine immer neue Datenlage und dadurch wieder zu beachtende Aspekte der Umsetzung – das war schon enorm. Zumal unser Klinikkonzern und deshalb auch unsere Kliniken in ganz Deutschland zu finden sind und die von den jeweiligen Bundesländern verordneten Maßnahmen mitunter sehr unterschiedich waren. Ich denke, das haben wir in unserer Klinik und in der von mir betreuten Region gut gemeistert. Das eingespielte Team und die professionellen Abläufe haben sich bewährt.
Was ich allerdings als besondere Herausforderung empfand, war, dass, neben den beruflichen Aufgaben, gleichzeitig Schule ersetzt werden musste! Das war sozusagen immer eine zweite Schicht.
Ich hatte den Eindruck, nicht die Kinder an sich waren das Problem, die Schule hat sich ungleich schwerer getan, mit der Corona-Krise fertig zu werden, als das Gesundheitsystem. Sollte es zu einer zweiten Welle kommen, hoffe ich beim Homeschooling auf alles, was man aus der ersten gelernt hat ...“

Dr. Nachtigall ist seit einiger Zeit dabei, auf der Grundlage der vorliegenden Daten zu Krankenhauserregern in den Häusern des Klinikkonzerns diese auch auf die Unterschiedlichkeit bei Patientinnen und Patienten zu untersuchen. Die inzwischen nun auch verfügbaren Daten zum Coronavirus könnten, so hofft sie, zudem Aufschluss bezüglich der unterschiedlichen Verläufe von COVID-19 bei Frauen und Männern geben. Sie arbeitet dabei u.a. mit der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB) zusammen.

Die Gesundheitspolitikexpertin.

Ambivalent sieht Antje Kapinsky, eine der geschäftsführenden Co-Vorständinnen des neu gegründeten Verein Spitzenfrauen Gesundheit, die Auswirkungen der Coronakrise auf die Situation: „Einerseits haben wir Frauen in systemrelevanten Berufen, die dringend gebraucht werden. Andererseits wirken aber kaum Frauen an den Entscheidungen mit.“ Corona könnte aber auch eine positive Strukturveränderung ermöglichen, hofft Kapinsky, Fachleiterin Gesundheitspolitik der Techniker Krankenkasse in Berlin.
Digitale und arbeitsteilige Arbeitsweisen würden momentan selbstverständlicher. Das könnte Frauen in Zukunft zugutekommen.

Die Gesundheitswirtschaftlerin.

Priv. Doz. Dr. phil. Claudia Wild
, Direktorin des Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) in einer aktuellen Veröffentlichung zu Medikamentenentwicklung:
„Unser jetziges System der Forschungsförderung setzt im Gesundheitsbereich eine starke Priorität auf die Kommerzialisierung – und weniger auf die tatsächliche Krankheitslast in der Gesellschaft. Das führte zu einer starken Förderung von Forschung zur Bewältigung von Zivilisationskrankheiten – und einer Vernachlässigung der Forschung im Bereich übertragbarer Krankheiten, trotz deren enormen Risikos und Schadenspotenzials.“ Gefordert wird ein radikales Umdenken zur Thematik, wie Medikamente hergestellt und verkauft werden. In den Nachwehen der Corona-Krise sei – trotz der Macht starker Lobbyinggruppen – erstmals die Chance das zu erreichen. Aus ihrer Sicht wurde der Mythos entzaubert, dass ausschließlich der private Sektor in der Lage sei, technologische Erfolge in der Arzneimittel- und Medizinproduktentwicklung zu liefern. Denn schon jetzt sei der öffentliche Sektor maßgeblich für Fortschritte bei der Erforschung neuer Medikamente verantwortlich. Doch während das Risiko des Scheiterns in der öffentlich geförderten Grundlagenforschung groß ist, werden die kommerziellen Gewinne, die am Ende dieses kostenintensiven Wegs stehen, privatisiert und von Pharmafirmen eingestrichen. Hier könne die Covid-19-Pandemie einen Richtungswechsel bewirken.

Die Interessenvertreterin.

Frauen leisten fraglos ihren Beitrag zur
Gesundheitsversorgung. Die Corona-Krise zeigt aber, dass dem bei Arbeitsbedingungen und in der öffentlichen Wahrnehmung zu wenig Rechnung gezollt wird, wie Dr. Sabine Ludwig, Sprecherin der Sektion von Women in Global Health der Berliner Charité, kritisiert.
Weltweit sind etwa drei Viertel der Beschäftigten im Gesundheitswesen Frauen, in Deutschland wird immerhin 70 Prozent der Arbeit in den Gesundheits- und Sozialpflegeberufen von Frauen verrichtet – verglichen mit 41 Prozent in anderen Beschäftigungsbereichen. Bei den Pflegekräften, im Rettungsdienst und der Geburtshilfe ist der Anteil sogar noch höher.
Doch verdeutliche gerade die Corona-Krise, dass es offenbar an einem Bewusstsein für diese Tatsache fehlt, so dass Frauen im Gesundheitswesen bei Entscheidungen während der Pandemie zu wenig berücksichtigt werden.

Die Ärztin.

Warum reagiert jeder Mensch bei einer Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 anders? Warum zeigen einige Menschen gar keine oder nur leichte Symptome der davon verursachten Erkrankung COVID-19? Und warum erkranken manche Menschen so schwer, dass sie beatmet werden müssen oder sogar sterben?
Diese Fragen untersucht Professorin Dr. Mascha Binder, Direktorin der Klinik für Innere Medizin IV des Universitätsklinikums Halle (Saale), zusammen mit ihrem Team und weiteren Partnern aus dem Universitätsklinikum Halle (UKH) sowie der Medizinischen Hochschule Hannover.
„Die virus-infizierte Zelle ist in ihrem Verhalten einer Krebszelle sehr ähnlich. Beide versuchen, sich vor der Immunantwort des Organismus zu verstecken und sich der immunologischen Kontrolle zu entziehen. Wir wollen daher auf molekularer Ebene anhand von Unterschieden in den Immunsignaturen erforschen, warum der menschliche Körper so unterschiedlich auf das Virus reagiert und wie genau die Immunantwort erfolgt“, sagt Binder, Ärztin für Hämatologie und Onkologie. Es gehe darum herauszufinden, wie eine Immunität gegen SARS-CoV-2 entstehe, wie lange diese Immunität anhalte und warum eine Immunantwort bei manchen erst spät eintrete und die COVID-Erkrankung einen schweren Verlauf nehme.

Die Gleichstellungspolitikerin.

„Frauen müssen aus der Corona-Krise – zu deren Bewältigung sie massiv beitragen – gestärkt hervorgehen. Deshalb fordert die GFMK, der Systemrelevanz der frauentypischen Tätigkeiten umfassend Rechnung zu tragen und für die Aufwertung und Anerkennung dieser Tätigkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen Sorge zu tragen sowie gleichberechtigte Teilhabe von Frauen zu gewährleisten.“ Das erklärte Berlins Gleichstellungssenatorin Dilek Kalayci zum Abschluss der 30. Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und –minister, -senatorinnen und –senatoren der Länder (GFMK). Aufgrund der Corona-Pandemie wurde sie als Sonderkonferenz per Videotechnik durchgeführt, organisiert durch das Vorsitzland Saarland. 
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