ÖGGSM-Jahrestagung in Wien:
Gender Equity bei der Nutzung
moderner Technologien in der Medizin

Artikel
21.05.2019
Gleichberechtigung in Technik und Medizin? Darum ging es am 12. April 2019 bei der 12. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin in Wien.
Stefan Thurner von der Medizinischen Universität Wien erklärte auf anschauliche Weise, wie sich Beziehungen von Menschen und Gruppen anhand des online Spiels „Pardus“ untersuchen und in weiterer Folge ihr Verhalten vorhersagen lassen. Interessant ist dabei nicht nur, dass sich die Spieler in der Onlinewelt ähnlich verhalten wie in der Realität, sondern auch dass Frauen sehr viel dichtere und damit sozial stabilere Netzwerke knüpfen als Männer. Diese und weitere Erkenntnisse aus dem Pardus-Universum helfen soziale, viel- und mehrschichtige Multi Layer Netzwerke – wie etwa die von Ärzt/innen, Patient/innen, in Laboren und Apotheken – der realen Welt zu verstehen. 

Christoph Gisinger vom Haus der Barmherzigkeit gab Einblick in die Akzeptanz und Praktikabilität von Assistenztechnologien wie etwa dem Roboter HOBBIT, der in privaten Haushalten Senior/innen unterstützen und damit Stürze verhindern kann. Ein weiteres Projekt mit dem Namen STRANDS unterstützt öffentliche und halböffentliche Einrichtungen etwa beim Lotsen von Patient/innen und Besucher/innen oder auch bei der Therapie beispielsweise durch Begleitung von Nordic-Walking-Gruppen Demenzkranker. Erstaunlich dabei ist, dass in beiden Untersuchungen kein Unterschied, noch nicht einmal ein Trend, zwischen männlichen und weiblichen PatientInnen und Angehörigen des Betreuungspersonals festgestellt wurde, obwohl Studien mit jüngeren Nutzer/innen von Virtual Reality-Anwendungen schnellere Reaktionszeiten bei Männern und leichtere Ablenkbarkeit von Frauen durch störende Stimuli zeigen konnten. 

Die Wichtigkeit der Einbeziehung moderner Technologien in die Therapie betonte auch Michael Leutner. Studien mit Diabetes-Selbstmanagement-Applikationen konnten erfolgreich zeigen, dass sich durch ihre Nutzung der Glukosestoffwechsel verbessert und hypoglykämischer Ereignisse verringern. Vor allem Frauen, die ein erhöhtes Risiko für Komplikationen haben, könnten demnach von der Unterstützung der Therapie durch Diabetesapplikationen profitieren.
Auch Alexandra Kautzky-Willer betonte die Wichtigkeit von geschlechts-sensitiven Leitlinien und die Implementierung von Sex-spezifischen Programmen zur Verbesserung der Therapieadhärenz und Verlangsamung der Progression bzw. Entwicklung von Spätfolgen und Komplikationen, da Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei zahlreichen endokrinologischen Erkrankungen, wie etwa Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion oder auch Osteoporose, bekannt sind.

Auch in der psychiatrischen/psychosomatischen Rehabilitation kann Manuel Sprung von deutlichen geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Verbesserung der Symptombelastung und Lebensqualität berichten, wonach vor allem Frauen von der Therapie profitieren.
Dass auch die Prävention von „Volkskrankheiten“ eines geschlechter-sensiblen Zugangs bedarf diskutierte Jürgen Harreiter. So wird zwar von vergleichbaren Ergebnissen für Gewichtsreduktionsmaßnamen zur Diabetesprävention berichtet, jedoch konnte aufgrund dieser Maßnahmen auch ein Vorteil für Frauen in Bezug auf die Mortalität gezeigt werden. Besonders für die Behandlung von Adipositas gibt es jedoch geschlechtsspezifische Neigungen bezüglich Therapie-Präferenz und -Adhärenz. Beispielsweise entschließen sich mehr Frauen für einen chirurgischen Eingriff zur Gewichtsreduktion. 

Gerhard Prager nannte als mögliche Ursache für diesen mit 80 Prozent deutlich höheren Anteil von Frauen bei bariatrischen Operation Unterschiede in der Wahrnehmung des Krankheitsbildes Adipositas, aber auch das möglicherweise höhere Gesundheitsbewusstsein von Frauen. Warum vor allem bei Frauen die aus der Adipositaschirurgie resultierende dauerhafte Gewichtsreduktion zu einer Verringerung der Karzinomsterblichkeit führt ist jedoch noch nicht abschließend geklärt.

Auch das sexuelle Erleben wird durch eine unterschiedliche Körperwahrnehmung beeinflusst, so Michaela Bayerle-Eder. Für die sexuelle Zufriedenheit ist bei Männern etwa der erlebte Orgasmus entscheidend. Bei Frauen hingegen zählt das „sexuelle Gesamterlebnis“. Inwieweit sich das sexuelle Erleben und zwischenmenschliche Beziehungen durch die Robotik in Zukunft verändern werden und ob diese Veränderungen der menschlichen Gesellschaft schadet oder ein Gewinn ist wurde in der abschließenden Diskussionsrunde von Stefan Thurner, Christoph Gisinger, Harun Fajkovic, Andjela Bäwert und Beate Wimmer-Puchinger debattiert. Deutlich wurde, dass es schon jetzt große, sehr individuelle, Unterschiede in der Akzeptanz von Robotern gibt und es der Etablierung einer neuen Denkweise für die kommenden Generationen bedarf um moderne Technologien in ihre Lebenswelten erfolgreich zu integrieren.

Weitere Informationen zum Kongress
und zu den Expert/innen:
https://www.gendermedizin.at
https://www.gendermedizin.at/wp-content/uploads/2019/04/OeGGSM-JT2019-Kongressheft.pdf
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