Gesundheitsexperten fordern definierte Strukturen und Prozesse für den besseren Transfer von Forschung in die medizinische Versorgung

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11.10.2019
Berlin - Neue Erkenntnisse aus der Forschung finden in Deutschland häufig zu langsam Eingang in die medizinische Routineversorgung. Bei einem Pressegespräch zur Eröffnung des 19. Deutschen Kongresses für Versorgungsforschung (DKVF) in Berlin plädierten Experten daher für ein „lernendes Gesundheitssystem“, das durch definierte Prozesse und Strukturen den Übergang von Forschungsergebnissen in die Patientenversorgung erleichtert.

Ein lernendes Gesundheitssystem greift die Erfahrungen von Betroffenen, Versicherten und Leistungserbringern auf und nutzt die Evidenz aus der Forschung für Verbesserungen. „Die Versorgungsforschung kann diesen Lernprozess fördern, zum Beispiel durch die Entwicklung geeigneter Methoden, die den Wissenstransfer unterstützen und verbessern, sowie durch die Analyse von Versorgungszusammenhängen“, so Prof. Dr. Jochen Schmitt, Kongresspräsident des DKVF 2019 und Direktor des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) am Universitätsklinikum Dresden, anlässlich des Pressegesprächs.

Eine gezielte Implementierungsforschung, die Festlegung von bedarfsorientierten Forschungsfragen, die frühzeitige Einbindung von Nutzer*innen, Patient*innen und Kostenträgern sowie die Netzwerkbildung zwischen Forschung, Versorgungspraxis und Regulierungseinrichtungen fordert auch die Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung (DNVF), Prof. Dr. Monika Klinkhammer-Schalke. Gemeinsam mit ihren Kolleg*innen aus dem DNVF setzt sie sich für die Schaffung einer Monitoring-, Beratungs- und Umsetzungsinstitution im Bereich Versorgungsforschung ein: „Die Aufgaben dieser Institution sehen wir unter anderem in der Erhebung von Versorgungsdefiziten, der Entwicklung von Versorgungszielen, der Beratung bei der Beantragung von Forschungsprojekten sowie der Projektbegleitung.“

Dass die Erforschung neuer Versorgungsformen von der Begleitung durch die Versorgungsforschung profitieren kann, bestätigt auch Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung. Als Beispiel führt er die ärztliche Notfallrettung und ihre Herausforderungen an. Vor allem in den dünn besiedelten Flächenländern Deutschlands müssen Rettungsteams häufig weite Entfernungen zum Einsatzort überbrücken und trotz steigender Einsatzzahlen stehen immer weniger Notärzte zur Verfügung. Zentrales Element des Projekts LandRettung, das gerade in Mecklenburg-Vorpommern erprobt wird, ist der Telenotarzt, der in Gebieten mit längerer Anfahrt den professionellen Rettungsdienst unterstützt. Dazu kommen Laien und Ersthelfer, die darin geschult sind, bei einem Herz-Kreislaufstillstand die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsteams zu überbrücken. Während der gesamten Erprobungsphase erfolgt eine wissenschaftliche Evaluierung dieser neue Versorgungsform. Hoffmann: „Aus der wissenschaftlichen Begleitung erhalten wir wertvolle Erkenntnisse darüber, wie sich neue medizinische Maßnahmen im Versorgungsalltag bewähren. Diese Erkenntnisse sind zum Beispiel für die Gegensteuerung bei Versorgungsdefiziten enorm wichtig.“
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