Warum wir eine geschlechtssensible Medizin
bei der Bewältigung der COVID-19 Pandemie brauchen

Artikel
14.09.2020
Nun sind wir immer noch mittendrin in dieser Pandemie, und während sich Fachleute streiten, ob es bereits eine zweite Welle gibt oder nicht, ist es unstrittig, dass die Infektionszahlen nach oben gehen. Unstrittig ist auch, dass obwohl Frauen statistisch gesehen ungefähr gleich häufig wie Männer an COVID-19 erkranken, sowohl biologische als auch soziale Faktoren eine wichtige Rolle bei der Krankheitsschwere und dem Risiko, an Corona zu versterben, spielen.

Männer zwischen 50-79 Jahren zeigen, global gesehen, einen schwereren Krankheitsverlauf und eine 2-2.5-fach höhere Sterblichkeit als gleichaltrige Frauen auf (Abbildung rechts; Robert Koch-Institut; 26.8.2020). Ältere Männer in einem schlechteren gesundheitlichen Allgemeinzustand sind daher eine oft unterschätzte Hochrisikogruppe. Allerdings - und das zeigen die Daten auch, sieht das anders bei den über 80-jährigen Patienten und Patientinnen aus: Dort sind beide Geschlechter in etwa gleich betroffen. Bei der Hochbetagten über 90 Jahre sterben fast doppelt so viele Frauen wie Männer, was natürlich auch mit daran liegt, dass Frauen im Mittel ca. fünf Jahre älter als Männer und mehr Frauen überhaupt krank werden können.

Schaut man sich nur diese Zahlen an, sieht man, dass es zu einfach wäre zu sagen, dass Männer grundsätzlich schwerer krank werden und häufiger sterben; das hängt vom Alter des Erkrankungszeitpunktes ab und welches Vorerkrankungsprofil man aufweist. 

Grundsätzlich zeigen Erkenntnisse der geschlechtssensiblen Medizin, dass Frauen durch ihr effektiveres Immunsystem besser vor Infektionen geschützt sind und virale Infektionen besser als Männer bekämpfen; sie produzieren mehr Antikörper als Antwort auf Infektionen oder Impfungen. Die Ursachen für diese Unterschiede in der Immun- und Infektabwehr sind vielfältig. 

Was man allerdings noch nicht weiß, ob beide unterschiedliche Symptomprofile haben, ob die jetzt bereits eingesetzten Medikamente anders wirken oder andere Nebenwirkungen zeigen und ob man bei möglichen Impfungen unterschiedliche Dosen für das jeweilige Geschlecht geben sollten. Man weiß auch noch nicht, ob sich Männer und Frauen nach überstandener COVID-19-Infektion unterschiedlich erholen und ob es Unterscheide in der Immunität gibt. Wichtige Forschungsfragen sind auch, ob es Geschlechtsunterschiede in der Akzeptanz gibt, eine Maske im Alltag zu tragen, und wenn ja, welche sozialen Faktoren dabei eine wichtige Rolle spielen. Solche Studien sollten finanzieren werden, um die jeweiligen Risikofaktoren für Männer und Frauen zu identifizieren, Präventionsangebote zu entwickeln und Krankheitsverläufe besser zu verstehen. 

Daher ist es wichtig, Studierende der Medizin auch für solche Fragen zu sensibilisieren, und ich habe daher letztes Sommersemester ein klinisches Wahlfach mit dem Thema „Pandemie & Geschlecht“ angeboten, das sich genau mit solchen Fragen auseinandersetzt. Neben der aktuellen COVID-19 Pandemie wurde auch Cholera und die Influenza behandelt. Das Wahlfach wird auch im WS 20/21 wieder stattfinden. Was die Studierenden sehr beeindruckt hat: Das, was man in Deutschland beobachten kann, trifft auch für viele andere Länder zu. Geschlecht - und Pandemie – kennen keine Ländergrenzen!

Die Autorin: 
Prof. Dr. Dr. Bettina Pfleiderer, Institut für klinische Radiologie
der Universität Münster, Leiterin der Arbeitsgruppe „Cognition and Gender“.
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