Vor wenigen Monaten hat sich aus einem wachsenden Kreis von Chirurginnen der Verein Die Chirurginnen e.V. gegründet. Wir sprachen mit Dr. med. Kristina Götzky, Fachärztin für Viszeralchirurgie, Oberärztin und stellvertretende Koordinatorin des Darmkrebszentrums sowie Studienärztin und Koordinatorin Prähabilitation im DIAKovere Hannover, und Natalie Dorst, Ärztin in Weiterbildung für Gefäßchirurgie in der Saarbrücker Caritas Klinik.
Beide sind Beisitzerinnen im Vorstand des Vereins.
Chirurgie – seit es Medizin gibt, eine Domäne der Männer. Ist sie schon halbwegs gebrochen?
Götzky: Kommt auf die Betrachtungsebene an! In der Weiterbildung finden sich noch recht viele Frauen, aber auf der „Karriereleiter“ nach oben werden es immer weniger. Insgesamt haben wir 22 Prozent Chirurginnen, in den Leitungsebene aber nur noch 7,5 Prozent. Das ist erschreckend wenig – und unbedingt verbesserungswürdig. Da schließen wir uns der Forderung von Christine Neumann-Grutzeck vom BDI an, eine der wenigen weiblichen Präsidenten großer Fachverbände …
Das Fach wird, im Gegensatz zu solchen wie Kinderheilkunde oder Dermatologie, von Studentinnen weniger nachgefragt. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe, was muss im Klinikbetrieb geändert werden, damit der Beruf attraktiver wird?
Dorst: Im Studium wird die Chirurgie oft nur von Männern gelehrt. Und wir hören immer wieder schon von Studentinnen, mit welchen Vorurteilen sie in ihren ersten Praktika in der Chirurgie zu kämpfen haben. Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder von den Chefs befürchtete Ausfälle wegen Schwangerschaften sind Themen unter vielen, mit denen junge Medizinerinnen schon im Studium konfrontiert werden. Das haben Fächer wie die Pädiatrie oder Dermatologie einfach besser gemacht. Es ist nicht verwunderlich, dass dann viele Studentinnen vor der Chirurgie zurückschrecken.
Götzky: Es fehlen in unserem Metier weibliche Vorbilder. Es braucht Empowerment für Frauen, eine Leitungsfunktion auch anzustreben, das ist wichtig. Frauen neigen mehr zu Selbstzweifeln als Männer und viele trauen sich daher nicht, den nächsten Schritt anzugehen, weil noch ein „paar Prozent“ fehlen.
Dorst: Wir denken auch, dass es vielmehr um solche Probleme gehen sollte, die letztlich alle Ärztinnen und auch viele ihrer männlichen Kollegen in den Krankenhäusern betreffen: Familienfreundlichkeit, praktikable Arbeitszeitmodelle, die Möglichkeit, eben auch mit Kindern in einem Fach wie der Chirurgie voranzukommen.
Ich muss unbedingt noch etwas zum oft zitierten „rauen Ton“ im Op-Saal sagen: In angespannten Situationen ist der Ton eventuell etwas ruppig, insgesamt herrscht jedoch ein kollegiales und professionelles, oft sogar lustiges Klima. Auch das spricht für unseren Beruf!
Die Chirurgie galt traditionell als körperlich schwer und daher für Frauen eher „ungeeignet“. Ändert sich daran etwas mit Digitalisierung, Computer im Op-Saal, neuen Technologien und Techniken etwas, und was würden Sie sich dabei noch wünschen?
Götzky: Chirurgie anno 2021 – das heißt nicht nur Operationssaal. Sprechstunden, Visite, interdisziplinäre Konferenzen etc. beanspruchen einen relevanten Teil der Arbeitszeit. Neben der manuellen Geschicklichkeit braucht es Entscheidungsfähigkeit, Empathie, Gelassenheit und Disziplin. Und natürlich gibt es lange Operationen, die Ausdauer und Konzentration erfordern, aber dies ist geschlechtsunabhängig erforderlich. Es braucht auch nicht immer Kraft, sondern die richtige Technik. Dazu kommt, dass nicht alle chirurgischen Teilgebiete mit „Kraftaufwand“ einhergehen, sondern oft auch filigrane Arbeit bedeuten, ich denke z.B. an endokrine, plastische oder Gefäßchirurgie oder an die Eingriffe bei Neugeborenen und kleinen Kindern.
Neue Technologien können das Arbeiten für Mann und Frau erleichtern, z.B. ist hier der Da-Vinci-Roboter zu nennen, der ein physiologisches Arbeiten ermöglicht, eine 3-D-Sicht bietet und durch einen Tremorfilter ein Zittern der Hand des/der Operierenden ausgleichen kann.
Wünschen würde ich mir zum Beispiel Instrumente in „Frauenversion“, manche von ihnen lassen sich mit kleineren Händen einfach nicht gut bedienen.
Dorst: Vieles ist eine Frage der Technik. Auch in einem Fachbereich wie der Unfallchirurgie können Frauen ohne Probleme körperlich mithalten. Abgesehen davon vergisst man hierbei immer die filigranen Chirurgien, die eben nicht nur von körperlicher Kraft leben. Ich selber bin Gefäßchirurgin und da spielen Geschick und feines Operieren die größere Rolle.
Steht die Gendermedizin eigentlich auf der Agenda Ihres Verbandes?
Götzky: Lasst uns noch ein bisschen Zeit, um die Vernetzung und Förderung unserer bisher immerhin schon rund 500 Mitglieds-Frauen voranzutreiben! Aber das Thema ist auch in unserem Fach zukunftsträchtig. Einige Kolleginnen von uns sind bereits in anderen Gremien im Bereich der Gendermedizin aktiv eingebunden. Inwieweit wir das inhaltlich bearbeiten werden? Es vergeht kaum ein Tag ohne neue Ideen aus unseren Reihen. Man darf also gespannt sein!
Wir wünschen viel Erfolg!
Chirurginnen im Interview:
Wir haben einen richtig tollen Beruf mit Zukunft!
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