Der Lehrbeauftragte: Kompetenzen vermitteln für geschlechtersensible Therapien

Interview
03.05.2022
Dr. med. Gunther Hempel, Foto: privat
Dr. med. Gunther Hempel ist Anästhesist an der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie des Universitätsklinikums Leipzig und Lehrbeauftragter. Kreative Ideen und das Setzen neuer Akzente bei der Ausbildung der Studierenden bescheinigen ihm ganz aktuell der Stifterverband und der Medizinische Fakultätentag und zeichnen ihn mit dem Preis für exzellente Lehre aus. Welche Chance gibt er der geschlechtersensiblen Medizin im ohnehin prallgefüllten Medizinstudium? Wir sprachen mit ihm.

Lehrbeauftragter zu sein – das ist auf jeden Fall mehr als Terminpläne für Seminare und Praktika am Patientenbett aufzustellen. Ihnen werden Kreativität und immer neue Ideen nachgesagt ...

Dr. Hempel: Die möchte ich natürlich vor allem bei der Vermittlung von Lehrinhalten einbringen. Wir befinden uns in dieser Beziehung in intensiven Veränderungsprozessen, kein Wunder bei der Dynamik, in der sich, nicht zuletzt auch durch Ereignisse wie die Pandemie angetrieben, Wissenschaft, Forschung und damit auch Medizin und Gesundheitsbetrieb weiterentwickeln. Ziel ist es dabei schon seit einigen Jahren, sich von der Vermittlung von reinem Faktenwissen hin zur Vermittlung von Kompetenzen zu entwickeln. Hierfür sind natürlich weiterhin die theoretischen Grundlagen notwendig, die in Vorlesungen im Hörsaal vermittelt werden. Auch aus den Erfahrungen in der Pandemie heraus: Das wird künftig sicher mehr und mehr in Hybridformaten oder rein digital erfolgen.
Viel mehr benötigt es aber praktische Kurse am Krankenbett, Schulungen mit Simulationspersonen oder interdisziplinäre bzw. interprofessionelle Trainings im Simulationszentrum. Damit die vermittelten Kompetenzen wirklich beherrscht werden, müssen sie im Anschluss auch ebenso effektiv geprüft werden. Auch hier gilt es neue standardisierte Prüfungsformate zu entwickeln. Denn ob jemand eine praktische Fertigkeit wirklich verinnerlicht hat, kann man durch das Setzen von Kreuzen in Multiple-Choice-Klausuren nicht wirklich testen - hier muss auch praktisch geprüft werden.

Die Medizin hat – mehr als andere Fächer im naturwissenschaftlichen oder technischen Kontext – den Ruf, sehr, oft zu lange zu brauchen, bis wissenschaftliche Erkenntnisse in die Versorgungspraxis gelangen und damit die Patient/innen außerhalb von Unikliniken davon profitieren... 

Dr. Hempel: Das ist sicher – noch – so. Was universitär vermittelt wird, ist aktueller Wissensstand oder sollte es zumindest sein. Jüngste Herausforderung ist die Umsetzung der Version 2.0 des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Medizin (NKLM), der vor einem Jahr vorgelegt wurde. Auch die für 2025/26 geplante neue Approbationsordnung wirft ihre Schatten voraus. Sie definiert gemeinsam mit dem NKLM letztlich was Studierende am Ende des Studiums wissen und können müssen. Die zugehörigen Curricula werden jedoch nicht über Nacht aktualisiert.
In unserer Klinik bedeutet das z.B. auch, dass mehr als 100 ärztliche Mitarbeiter/innen, die in die studentische Ausbildung eingebunden sind, mit den neuen Lernzielen und teilweise neuen Lehr- und Prüfungsformaten vertraut gemacht werden müssen.
Wenn die Studierenden die Universität verlassen, sollen sie über das modernste Wissen verfügen, aber wie lange ist dieses Wissen wirklich neu? Zu lebenslanger Fortbildung ist ja jeder Arzt, jede Ärztin verpflichtet, aber Qualität, Kontinuität, Konsequenz zu garantieren, ist nicht überall gegeben. Hier kann man die aktuelle Pandemie aber auch als Chance sehen. Denn die zuletzt in großer Zahl etablierten digitalen Fortbildungsformate lassen sich auch für die Niedergelassenen realisieren.

Zu den neuen Lehrinhalten sollte, das sieht auch der Koalitionsvertrag vor, die geschlechtersensible Medizin gehören ...

Dr. Hempel: Das haben wir schon deshalb im Blick, weil sich in unseren Fächern die Unterschiede zwischen den Patient/innen – und dabei ist das Geschlecht eine wichtige Komponente – oft sehr deutlich zeigen. Medikamentennebenwirkungen, Unterschiede bei der Wirkung von Narkosemitteln, Schmerztherapien und anderes mehr sind uns aus der Praxis bekannt. Geschlechtersensible Medizin ist für mich ein wichtiger Aspekt bei der Individualisierten Medizin, die ja den Menschen in all seinen Unterschiedlichkeiten – Geschlecht, Alter, Ethnie, soziokulturelles Umfeld, aber auch individuelle Vorerkrankungen usw. – erfasst. Und sie ist damit ein Querschnittsthema und fachübergreifend, es bedarf keines eigens dafür entwickelten Fachs, sondern der Bereitschaft von Ärztinnen und Ärzten, sich dazu mit den neuesten Forschungsergebnissen auseinanderzusetzen – und dafür zu sorgen, dass weitere Daten, wozu uns wiederum die Digitalisierung mit der Auswertung großer Datenbanken und Datensätze die Möglichkeit gibt, ermittelt werden. Ich denke, dazu können wir in der Klinik wesentlich beitragen.
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