Dr. Annika Gottschling-Lang
Frauen und Männer in Bewegung – die richtigen Angebote machen es

Mehr Bewegung hält gesund und macht gesund – eine Binsenweisheit. Sie wird zur Prävention von Risikofaktoren und Erkrankungen wie beispielsweise Übergewicht, Hypertonie oder Diabetes mellitus Typ 2, dringend empfohlen. Mit oft geringem Erfolg. Warum eigentlich und inwieweit spielt das Geschlecht bei der Inanspruchnahme von sportlichen Angeboten eine Rolle? Wir sprachen mit Dr. Annika Gottschling-Lang, Medizinische Hochschule Hannover.


Das RKI berichtet, dass rund 66 Prozent aller Frauen und Männer in Deutschland sportlich aktiv sind, aber die Zahl der Diabetiker wie die der Übergewichtigen, der mit Metabolischem Syndrom und der mit Rückenleiden wächst ... Können Sie diesen Widerspruch erklären?

Dr. Gottschling-Lang: Sicher reicht dazu eine einfache Erklärung nicht aus. Und sicher sind auch die Ansätze bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich. Ich habe mich wissenschaftlich sowohl mit sehr jungen Menschen – im Kita-Alter – als auch mit älteren Zielgruppen und in letzter Zeit auch mit den Unterschieden zwischen den Geschlechtern befasst. Hier lassen sich viele Aspekte finden, die für das Thema Bewegung in der Prävention wie auch in der Therapie noch besser als bisher genutzt werden müssen. Wichtig ist vor allem, die Menschen, Männer wie Frauen, sehr junge wie auch ältere, in ihrer konkreten Situation zu erreichen. Das heißt nicht zuletzt, mit entsprechenden Angeboten Zugang zu ihnen zu finden. Und diese Angebote müssen auch geschlechterspezifisch angelegt sein.

Untersuchungen zeigen, dass alles, was z. B. mit dem Label „Gesundheitssport“ belegt ist, Männer nicht so stark erreicht...

Dr. Gottschling-Lang: Die Gesundheitskomponente kommt bei Frauen eindeutig mehr an. Männer fühlen sich, auch das zeigen Studien, von Angeboten angesprochen, die dem Muskelaufbau dienen bzw. die einen Wettkampf- oder Wettbewerbsaspekt beinhalten. Dem entspricht auch, dass Jungen und Männer stärker in Vereinen organisiert sind und wettkampforientierte Sportarten bevorzugen. Das bestätigt sich durchaus auch noch im höheren Alter.

In den höheren Altersgruppen sind aber mehr Frauen als Männer aktiv...

Dr. Gottschling-Lang: Das ist eine aus einem ganzen Katalog von Herausforderungen: Wir haben verschiedene Fakten, aber eine systematisch vergleichende Analyse von Gesundheitsförderung im Sport und Geschlechterforschung steht noch aus. Physische und psycho-soziale Gesundheitsressourcen im Zusammenhang mit Lebenslage und Lebensweise gehören in den Forschungsfokus, um wirklich die Angebote machen zu können, die Frauen wie Männer erreichen. Leider ist diese Forderung auch nicht mehr neu.

Viele Träger von gesundheitsorientierten Angeboten orientieren sich bisher an den Motiven von Frauen...

Dr. Gottschling-Lang: ... zum Beispiel an den Wünschen nach Gewichtsreduktion. Es fehlt an evidenzbasierten alternativen Angeboten, bei denen beispielsweise klassische Wettkampfsportarten in den Bereich der Gesundheitsförderung überführt werden. Ein positives Beispiel ist hier der Deutsche Ruderverband mit entsprechendem Zertifizierungsangebot für den Gesundheitssport. Eine Querschnittstudie bei Frauen und Männern zwischen 50 und 70 Jahren im Raum Hannover zeigte z. B., dass Frauen den Faktor Gewichtsreduzierung mit 70 Prozent als wichtiges Motiv für sportliche Betätigung nannten. Bei Männern waren dies nur 20 Prozent. Während Männer Ballspiele zumindest zu 9 Prozent präferierten, bekannte sich keine Frau dazu.

Sie waren eine der Referent/innen der Ringvorlesung „Gesundheit von Frauen und Männern ist viel mehr als Biologie!“ der Universitätsmedizin Halle. Solche Themen sollen nicht zuletzt Wissenschaftler/innen sensibilisieren für neue Forschungsaspekte. Ist das gelungen? 

Dr. Gottschling-Lang: Die von Frau Professorin Meyer initiierte Ringvorlesung ist eine sehr gute Idee, vor allem, da sie öffentlich war und sich sowohl an Studierende und Wissenschaftler/innen als auch an interessierte Bürgerinnen und Bürger richtete. Natürlich kann man auch hier nicht ausschließen, dass die Ringvorlesung vorwiegend von vornherein an der Thematik Interessierten besucht wird. Dennoch würde ich mir wünschen, dass sie zu einer Sensibilisierung beiträgt und zwar dahingehend, dass Geschlechtersensibilität eine Selbstverständlichkeit in der täglichen Forschung (und Lehre) wird und kein separates Handlungsfeld darstellt.

Das Gespräch führte Annegret Hofmann