Eine Medizinische Fakultät in der Lausitz?
Auch eine Chance für die geschlechtersensible Medizin!

Artikel
13.02.2022
Prof. Dr. Gesine Grande
Foto: Kirsten Nijhof
1.9 Milliarden Euro für den Aufbau einer Medizin-Fakultät am Ostrand der Republik. So hat es die Expertenkommission in ihrem Gutachten der Landesregierung von Brandenburg vorgeschlagen. Das Geld soll, so ist es angedacht, aus dem Strukturstärkungsgesetz für Kohleregionen kommen. Spinnt man den Faden weiter und schlägt eine Brücke zu einer weiteren politischen Zielstellung, sind wir rasch auch bei der geschlechtersensiblen Medizin. Soll sie doch zukünftig in die Curricula Medizinstudierender fest verankert sein. Eine Chance?

Das Flächenland Brandenburg mit seiner 2,5 Millionen zählenden Einwohnerschaft hat, wie in ländlich geprägten Regionen generell, zunehmend ein medizinisches Versorgungsproblem. Der Bedarf ist groß: Eine älter werdende Bevölkerung, niedergelassene Ärzte suchen vergeblich Nachfolger, kleine Versorgerkrankenhäuser haben Finanzierungsprobleme. In der Region wurden bisher keine Mediziner ausgebildet, die Zentren Berlin und Dresden mit ihren Fakultäten lieferten den Nachwuchs und sicherten die Facharztausbildung ab. Aber das reicht seit langem nicht mehr aus. Deshalb ist der Plan vielversprechend – und er entstand auch nicht erst jüngst: Ärztinnen und Ärzte werden in der Region ausgebildet und bleiben hier, im besten Fall. Wird das gelingen?

Auf einen Beschluss der Landesregierung wurde 2018 in Brandenburg eine Fakultät für Gesundheitswissenschaften gegründet, gemeinsam getragen von der Universität Potsdam, der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg und der privaten Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB). Inzwischen ist sind viele der insgesamt 16 geplanten Professuren berufen. Allerdings ist die Zukunft der Fakultät mit der vom Landtag beschlossenen Kürzung um 50 Prozent mehr als fraglich.

Dafür gibt es nun das neue Konzept für ein „Innovationszentrum Universitätsmedizin Cottbus“ (IUC). Die Eckpunkte dafür wurden von der Gutachterkommission unter Leitung von Prof. Karl Max Einhäupl, bis 2019 Vorstandsvorsitzender der Berliner Charité, im Juni vergangenen Jahres an das Wissenschaftsministerium übergeben. Die Medizin-Fakultät soll an der BTU in Cottbus angesiedelt und das ebenfalls in Cottbus befindliche Carl-Thiem-Klinikum (CTK), zweitgrößtes Krankenhaus im Land und Maximalversorger, zum Universitätsklinikum werden.
Nicht ganz verwunderlich die Reaktionen aus der Potsdamer Universität. Von den Gefahren möglicher Doppelstrukturen spricht deren Uni-Präsident, denen mit einer „klugen digitalen Vernetzung“ entgegnet werden müsse, auch durch die Einbindung der privaten Ausbildungsstätte MHB oder der Health and Medical School (HMU). Beide Einrichtungen immatrikulieren ohne den unbeliebten NC, zudem ist die HMU mit dem Potsdamer Maximalversorger-Klinikum Ernst von Bergmann verbunden.
Konkurrenzen oder Kooperationen? Man wird sehen.

Ein komplexes Projekt

Präsidentin der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus ist seit 2020 Professorin Dr. Gesine Grande. Für sie und ihr Team ist die Etablierung der Medizinerausbildung natürlich eine Herausforderung, ein spannender Profilierungsprozess.
Die Psychologin und Gesundheitswissenschaftlerin, in ihrer beruflichen Laufbahn bereits u. a. an den Universitäten Bielefeld und Bremen tätig und zuletzt Rektorin der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig, weiß um die Komplexität dieses Projekts.

„Natürlich ist das Konzept für das Innovationszentrum Universitätsmedizin anspruchsvoll, schon allein durch das formulierte Ziel, Gesundheitssystemforschung als Schwerpunkt für Forschung und Gesundheitsversorgung in der Lausitz zu etablieren. Es wird jetzt darauf ankommen, dass wir als Universität gemeinsam mit dem CTK und unserem Ministerium das Konzept so qualifizieren, dass wir damit erfolgreich beim Wissenschaftsrat sein können. Mit unserer Forschungskompetenz in den Ingenieurwissenschaften, in der Informatik, der Sensorik, der Biotechnologie und der Versorgungsforschung haben wir beste Voraussetzungen für einen bundesweit vielleicht sogar einmaligen interdisziplinären Ansatz für die Etablierung eines konvergenten Ansatzes für Gesundheit und Gesundheitsforschung.“

Das Konzept beinhaltet eine ganze Reihe von Begriffen, die Großartiges erwarten lassen.
Da ist von einer Modellregion Gesundheit Lausitz die Rede, von Reallabor für digitale Vernetzung der Gesundheitsakteure und einer Gesundheitsversorgung aus einem Guss. Für all diese Zielstellungen bedarf es der Implementierung in die Ausbildungsprogramme, in die Curricula. Womit wir auch wieder bei der geschlechtersensiblen Medizin wären.

Professorin Grande, die selbst das Thema schon vor Jahren wissenschaftlich bearbeitet hat, z.B. in Zusammenhang mit chronischen Krankheiten und Rehabilitation, ist verhalten optimistisch. „Es ist ein gewaltiger Berg an Aufgaben, der jetzt zu bewältigen ist. Strukturell, organisatorisch, personell, inhaltlich konzeptionell. Für die geschlechtersensible Medizin könnten sich natürlich interessante Aspekte ergeben. So kann mir vorstellen, dass gerade die Herausforderungen des Strukturwandels in der Lausitz – von der Bergbauregion zu neuen beruflichen und sozialen Feldern – für Frauen, Männer, alle Menschen auch gesundheitliche, psychische Auswirkungen gleich welcher Art haben. Die Erfassung, Analyse und Beeinflussung komplexer Wechselwirkungen zwischen sozialen und regionalen Risikofaktoren ist eine wichtige Säule der Gesundheitssystemforschung! Möglicherweise gibt es ja dann auch Erkenntnisse zur geschlechtersensiblen Medizin, von denen wir im Moment noch keine Vorstellung haben.“

Die ersten 200 Studierenden sollen zum Wintersemester 2026/27 in Cottbus beginnen, von Jahr zu Jahr kommen dann weitere 200 hinzu. Wird ihr Studienort für sie attraktiv sein? Wird ihnen das Studium das bieten, das sie sich vorstellen? Werden sie in der Region bleiben – Ärztinnen und Ärzte der dringend benötigten Allgemeinmedizin, in Fächern wie Kardiologie und Augenheilkunde, Versorgungsforscher/innen, Spezialist/innen für ein gesundes Altern (auch dies ein anvisiertes Ziel) und auch solche, für die eine geschlechtersensible Medizin in ihrem Fachgebiet einfach State of the Art ist?
Es ist eine Chance!
Annegret Hofmann
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