Gendermedizin auch in der Zahnheilkunde –
nun auch vermehrt im Studium

Interview
30.11.2021
Prof. Dr. med.dent. Margrit-Ann Geibel hat den Lehrstuhl für Genderspecific Dentistry an der Danube Private University in Österreich und ist Leiterin der Zahnärztlichen Radiologie am Universitätsklinikum Ulm. Wir sprachen mit der Herausgeberin von „Gender Dentistry“, einem umfassenden Lehrbuch zu diesem Thema, das nicht nur für Zahnärztinnen und -ärzte interessant und aufschlussreich ist.

Frauen gehen häufiger in die Zahnarztpraxis als Männer, hieß es erst kürzlich in einer Presseinformation der Barmer. Haben sie schlechtere Zähne als Männer oder …?

Prof. Geibel: Ganz im Gegenteil. Frauen sind sehr präventionsbewusst und gehen grundsätzlich lieber zum Arzt/Zahnarzt als Männer. Für die Zahnmedizin ist das eine Chance, weil wir viele Hinweise auf Grunderkrankungen wie Diabetes/Osteoporose oder auch kardio-vaskuläre Erkrankungen bei unseren Routineuntersuchungen erkennen können.

Dass zur Vorsorge während einer Schwangerschaft eine zahnärztliche Kontrolle gehört, ist allgemein bekannt. Warum eigentlich?

Prof. Geibel: Durch die hormonelle Umstellung in der Schwangerschaft kommt es auch zu einer vermehrten Durchblutung in der Mundhöhle und auch am besonders sensiblen Bereich, dem Zahnfleisch. Daher muss ein besonderes Augenmerk auf die Mundpflege/Zahnreinigung gelegt werden, damit keine Folgeschäden durch Entzündungen oder Karies für den mütterlichen und kindlichen Organismus entstehen.

Welche Rolle spielen Geschlechterunterschiede eigentlich in der zahnärztlichen Ausbildung? Und was meinen Sie dazu, dass die nun ins Amt kommenden Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag die gendermedizinische Ausbildung für die Lehre festgeschrieben hat? Wird das auch der Zahnmedizin förderlich sein?

Prof. Geibel: Die Zahnmedizin ist zunehmend weiblich. Der überwiegende Anteil der Studienanfänger sind Frauen. Das hat selbstverständlich Auswirkung auf die Patientenbehandlung z. B. auf die chirurgische Versorgung, was ich in eigenen Studien belegen und daher auch monoeducative chirurgische Weiterbildungskonzepte in die Post Doc Ausbildung von Zahnmedizinerinnen erfolgreich etablieren konnte.
Ich bin sehr froh, dass wir hier künftig auch in Deutschland schon im Rahmen des Studiums auf gendermedizinische Unterschiede bei der zahnmedizinischen Patientenversorgung eingehen können. Das wird, denke ich, auch Auswirkungen auf künftige Forschungskonzepte haben - die Lernkurve in diesem Bereich hat in der Zahnmedizin noch viel „Luft nach oben“.

Ein Vorwort zu „Gender Dentristy“ hat die Endokrinologin Professorin Alexandra Kautzky-Willer, übrigens eines unserer Beiratsmitglieder, geschrieben, bekanntermaßen eine Pionierin der Gendermedizin. Wie könnte die Zusammenarbeit von Gendermediziner/innen verschiedener Fächer aussehen und was würde sie bringen – der Wissenschaft, den Patient/innen?

Prof. Geibel: Gerade die Zahnmedizin profitiert sehr von der Diabetesforschung von Frau Professorin Kautzky-Willer. Sie hat hier schon vor Jahren wichtige Erkenntnisse in unseren Bereich gebracht. Auch die neuen S3 Leitlinien der DGZMK „Die Behandlung von Parodontitis Stadium I-III“ oder „Zahnimplantate bei Diabetes mellitus“ folgen diesen Erkenntnissen und weisen deutlich auf den Zusammenhang von Diabetes auf Wundheilung/Knochenheilung und Entzündungen in der Mundhöhle hin.
Die enge Zusammenarbeit zwischen Humanmedizin und Zahnmedizin spiegelt sich in der Oralen Medizin wieder. Dazu zähle ich auch die Gender Dentistry, als einen Teilaspekt dieser 360 Grad Sichtweise auf den Patienten. Daher habe ich bewusst den Titel für mein Lehrbuch so gewählt: Orale Medizin: Gender Dentistry – Grundlagen und Konsequenzen aus dem zahnmedizinischen Praxisalltag.

Das Gespräch führte: Annegret Hofmann
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