Gleiche Therapie bei gleicher Krankheit? Rheuma zeigt bei Frauen und Männern eine Vielzahl von Unterschieden

Interview
10.03.2011
Update: 27.10.2011

Prof. Dr. Erika Gromnica-Ihle, Rheumatologin und Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga, fordert dazu auf, die Gendermedizin in Forschung, Lehre und medizinischer Versorgung unbedingt stärker zu berücksichtigen. Das betreffe in sehr hohem Maße auch die Rheumatologie, betonte sie bei einem Symposium anlässlich des Rheumatologenkongresses im September in München. Hier gebe es, so Prof. Gromnica-Ihle, noch Nachholebedarf. So habe sich bei der Auswertung entsprechender wissenschaftlicher Publikationen durch das Institut für geschlechterspezifische Forschungen in der Medizin (GIM, Berlin) gezeigt: Im Management der rheumatischen Erkrankungen wurde die Geschlechtsspezifik nur in acht Prozent der Studien beachtet.
Frau Dr. Gromica-Ihle im Interview mit afp-news.

Frau Professor Gromnica-Ihle, Rheuma oder besser die Vielzahl von Krankheitsbildern, die man dem rheumatischen Formenkreis zurechnet, betreffen Frauen wie Männer. Und dennoch sind Frauen stärker in die Selbsthilfeorganisationen, wie auch der Deutschen Rheuma-Liga, eingebunden. Wie kommt das?

Prof. Gromnica-Ihle:
Das hat ganz sicher mit der unterschiedlichen Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit bei Frauen und Männern zu tun. Frauen suchen dabei Möglichkeiten des Austauschs, der Kommunikation über die Krankheitsbewältigung, sind diesbezüglich aktiver. Wie wir wissen, beginnt das ja schon bei der Prävention. Sicher spielt auch eine Rolle, dass viele unserer Mitglieder im höheren Lebensalter sind, und hier haben wir nun einmal, bedingt durch eine längere Lebenserwartung, mehr Frauen.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber auch, dass Frauen bei bestimmten rheumatischen Erkrankungen stärker betroffen sind, bzw. dass es durchaus Unterschiede in der Ausprägung der Erkrankungen gibt...

Prof. Gromnica-Ihle: Die meisten entzündlich-rheumatischen Erkrankungen weisen die Dominanz des weiblichen Geschlechts auf, es gibt also keine gleiche Verteilung zwischen Mann und Frau. Bei der weit verbreitete Rheumatoiden Arthritis (RA) haben wir ein Verhältnis von 3:1 zwischen Frauen und Männern, beim systemischen Lupus erythematodes beträgt es sogar 7:1. Selbst beim Morbus Bechterew, der früher als fast ausschließliche Männerkrankheit galt, nähert sich das Geschlechtsverhältnis zunehmend einer Gleichverteilung. Das ist aber nur die eine Seite der Betrachtung. Nimmt man die einzelne Erkrankung, so stellt sich heraus, dass das klinische Bild und der Krankheitsverlauf bei Frauen und Männern unterschiedlich sind. Bessere Kenntnisse über diese Geschlechtsdifferenzen sollten dann auch zu stärkerer individueller Therapie für jede Rheuma-Patientin, jeden Rheuma-Patienten führen, die das Geschlecht ebenso berücksichtigt wie andere Parameter - Alter, individuelles Krankheitsempfinden, Begleiterkrankungen usw. Das heißt: Wir brauchen noch mehr verlässliche Studien dazu und wir brauchen Leitlinien und Therapieempfehlungen, die dies berücksichtigen.

Welche Rolle spielt z. B. die unterschiedliche Schmerzwahrnehmung?

Prof. Gromnica-Ihle:
Unbestreitbar ist, dass z. B. bei der RA Schmerzschwelle und Schmerzgrenze bei Frauen deutlich niedriger sind als bei Männern.Patientinnen geben stärkere Schmerzen an als Männer mit einer RA. Auch sind die Funktions-einschränkungen bei Frauen höherer deutlich stärker als bei Männernund nehmen bei Frauen im Altersverlauf auch stärker zu. Die Studien haben aber auch gezeigt, dass beim Vorliegen einer RA weniger Frauen als Männer eine Remission erreichen. Hier müssen wir ansetzen, um z. B. bei Frauen die gleichen Behandlungserfolge zu erreichen wie bei Männern. Eine norwegische Untersuchung hat auch gezeigt, dass Frauen mit RA im Alter zwischen 18 und 45 Jahren, also noch sehr jung, ein vierfach höheres Risiko der Erwerbsunfähigkeit haben als Männer gleichen Alters. Damit kommen Gesundheits- und soziale Faktoren ins Spiel.

Patientenorganisationen helfen, die Interessen der Betroffenen im gesellschaftlichen Kontext besser durchzusetzen, helfen ihnen aber auch, besser mit ihrer Erkrankung zu leben. Wie wichtig ist es für die Patienten um die Geschlechtsspezifik ihrer Erkrankung zu wissen?


Prof. Gromnica-Ihle: Wie jede gesicherte Information über ihre Erkrankung helfen ihnen auch diejenigen über die Geschlechtsspezifik bei Diagnostik. Therapie und Krankheitsbewältigung. Wir brauchen ja die informierte Patientin, den informierten Patienten, damit diese bessere Partner der Ärztinnen und Ärzte sein können. Dabei ist jede neue Erkenntnis ein Fortschritt auch beim Meistern einer solchen Erkrankung und der sich daraus ergebenden konkreten Lebenssituation. Ich sehe einen Gewinn der geschlechtsspezifischen Betrachtungsweise deshalb nicht nur als Ärztin, sondern auch in meiner Funktion in der Deutschen Rheuma-Liga. Deshalb bin ich so interessiert daran, dass diese Erkenntnisse in die Praxis übernommen werden und noch viele neue hinzukommen.

Das Gespräch führte Annegret Hofmann,
anna fischer project
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