Leitlinie Kardiovaskuläre Erkrankungen in der Schwangerschaft:
Etablierung von „Schwangerschafts-Herz-Teams“

Artikel
01.12.2018
Eine wichtige Errungenschaft für die Frauengesundheit war in 2018 die Aktualisierung der Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zu kardiovaskulären Erkrankungen in der Schwangerschaft unter Federführung der DGesGM Vorsitzenden, Prof Vera Regitz-Zagrosek, und unter Mitarbeit des DGesGM Vorstandmitglieds Dr. Ute Seeland.

Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie sind extrem populär und legen die Grundsteine für die kardiovaskuläre Therapie in Europa. Frauen oder Gender-Gesichtspunkte wurden hier bisher nur selten berücksichtigt. Hier zeichnet sich allerdings Bewegung ab. Auf Drängen der DGesGM Vorsitzenden, Prof. Vera Regitz-Zagrosek, wurde 2018 festgeschrieben, dass alle neuen Leitlinien einen Passus enthalten sollten, der darüber informiert, wieweit die Studien auch für Frauen und Männer im einzelnen zutreffen. Wenn nicht ausreichend viele Studien für Frauen existieren, solle dies vermerkt und eingefordert werden. Studien, die nur oder überwiegend an Männern durchgeführt wurden, dürfen nicht mehr unkommentiert und kritiklos auf Frauen übertragen werden.
Einen großen Fortschritt stellt die aktuelle Leitlinie zu Herz-Kreislauferkrankungen bei Frauen in der Schwangerschaft dar. Sie baut auf der ersten Leitlinie von 2011 der gleichen Leitautorinnen auf. Bei der Aktualisierung der Daten und Darstellung der Empfehlungen wurde darauf geachtet, dass diese klar verständlich und in der klinischen Praxis leicht anwendbar sind.

Herzerkrankungen häufigste Todesursache
während der Schwangerschaf
t
Auch wenn Herzerkrankungen bei schwangeren Frauen eher selten auftreten, so sind sie dennoch in den westlichen Ländern die häufigste Todesursache während der Schwangerschaft. Bluthochdruck ist mit einer Prävalenz von 5-10 Prozent am häufigsten. 1-4 Prozent der Schwangerschaften werden durch andere mütterliche kardiovaskuläre Erkrankung kompliziert. Seltene Erkrankungen, die auch tödlich verlaufen können, sind schwere angeborene Vitien, die peripartale Kardiomyopathie, Aortenerkrankungen, Lungenhochdruck und der Myokardinfarkt. Das Problem nimmt zu, denn immer mehr Frauen mit angeborenen Herzerkrankungen kommen dank besserer Therapie ins gebärfähige Alter, und das Alter der Herzinfarkt-Patientinnen wird immer jünger, so dass immer mehr Frauen mit Herzerkrankungen schwanger werden wollen und werden.
Die großen vor allem niederländischen und europäischen Studien und Register (CARPREG, ZAHARA und ROPAC, Registry of Pregnancy and cardiac disease) haben wesentlich zum Erkenntnisgewinn in den letzten Jahren beigetragen. Solche Register brauchen wir auch in Deutschland, denn ausreichende eigene Erfahrungen mit Herzerkrankungen bei schwangeren Frauen können aufgrund ihrer insgesamt doch geringen Zahl von den meisten ÄrztInnen nur selten selbst erworben werden. Darüber hinaus fehlen aus verständlichen Gründen häufig prospektive und randomisierte Studien, aufgrund derer die ÄrztInnen sich eine Meinung bilden könnten. Daher sind die Diskussion in der Expertengruppe und die Leitlinie für jede/jeden Ärztin/Arzt wichtig, um einen Leitfaden zu haben, der sie die Herausforderung bewältigen lässt.

Risikoeinschätzung des Schwangerschaftsverlaufs
Ein Schwerpunkt der aktuellen Leitlinie liegt auf der Diskussion von Risikofaktoren und Vorerkrankungen der Mutter, die mit einem erhöhten Risiko für Mutter und Kind während der Schwangerschaft und peripartal einhergehen. Die Leitlinie fordert eine Risikoeinschätzung und Beratung vor der Schwangerschaft für alle Frauen im gebärfähigem Alter mit Herzerkrankungen, d.h. mit bekannten angeborenen Herzfehlern sowie bekannten oder vermuteten erworbenen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und der Aorta. Das gilt auch vor einer geplanten assistierten Reproduktionstherapie.
Die LL fordert die Etablierung von „Schwangerschafts-Herz-Teams“, interdisziplinären Teams aus KardiologInnen, GynäkologInnen, AnaesthesistInnen, NeonatologInnen und anderen Fachbereichen. An großen Kliniken sollen sie Schwangere und ihre ÄrztInnen entsprechend beraten. In vielen europäischen Ländern bestehen sie bereits, aber in Deutschland wurden sie bisher nicht offiziell etabliert.
Das Risiko für kardiale Komplikationen während der Schwangerschaft wird zurzeit am besten mit der modifizierten Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (mWHO) eingeschätzt. Frauen, die aufgrund der Diagnostik in die mWHO Klasse II-III oder III eingestuft werden, müssen mit einem mittleren bzw. hohen Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis oder Sterblichkeit (10-27 Prozent) rechnen. In mWHO IV liegt die geschätzte Ereignisrate bei >40 Prozent für die maternale Mortalität und schwere kardiale Ereignisse. Nach ausführlicher Aufklärung soll diesen Frauen abgeraten werden, eine Schwangerschaft zu planen. Bei bereits gesicherter Schwangerschaft soll ein Abbruch empfohlen werden.
Letztlich müssen alle Entscheidungen im Gespräch individuell mit den Patientinnen getroffen werden, möglichst auch unter Einbezug der Familie. Zu den Frauen in gebärfähigem Alter, die in die mWHO Klasse IV eingestuft werden, gehören u.a. Patientinnen mit Lungenhochdruck, schweren Aortenerkrankungen, mit schwerer Mitral- oder Aortenklappenstenose oder mit schwerer Herzinsuffizienz. Die wichtigsten Erkrankungen werden im Einzelnen ausführlich diskutiert.

Vor Beginn einer Schwangerschaft sollte eine bestehende Medikation auf die Arzneimittel- und Sicherheitsdaten hin überprüft werden. Hierzu bietet die Tabelle 7 der aktuellen Leitlinie eine einmalige Unterstützung. Sie bietet eine Beschreibung des Risikos wichtiger Arzneimittel anhand von Tierstudien und humanen Daten zur Arzneimittelsicherheit und ist eine in dieser Form einmalige Zusammenstellung.
Die meisten Frauen mit angeborenen Herzerkrankungen überstehen eine Schwangerschaft gut und ohne größere gesundheitliche Probleme.
(Weitere Informationen bei den Autorinnen:
www.dgesgm.dehttps://gender.charite.de)
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