Professorin Eva Peters
Stress fürs Immunsystem:
Die Pandemie ist eine Herausforderung

Interview
10.08.2021
Lange Zeit war es nur Spekulation: Kommunizieren Immun-, Nerven- und Hormonsystem – Körper und Seele – miteinander, wie tun sie das und mit welchen Auswirkungen? Inzwischen gibt das Fachgebiet Psychoneuroimmunologie darauf oft erstaunliche Antworten. Im Zusammenhang mit Covid-19 hat das Thema in der Fach- wie auch in der öffentlichen Diskussion einmal wieder einen besonderen Stellenwert bekommen. Wir sprachen darüber mit Professorin Dr. Eva Peters. Die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und Dermatologie leitet das Psychoneuroimmunologie-Labor am Klinikum der Justus-Liebig-Universität Gießen und ist zudem an der Berliner Charité tätig. Außerdem ist sie Sprecherin des Arbeitskreises Endokrinoimmunologie (AKNEI) der Deutschen Gesellschaft für Immunologie und hat mit ihren Kollegen Karsten Watzel, Manfred Schedlowski und Ulrike Gimsa einen interessanten Review zum Thema veröffentlicht.

Frau Prof. Peters, dass unser Immunsystem bei der Abwehr von Krankheitserregern wie Viren Enormes leisten kann, weiß, theoretisch, eigentlich jeder. Nun versetzt das Coronavirus seit mehr als einem Jahr die ganze Welt in eine Art Ausnahmezustand. Eine Kapitulation unserer Immunabwehr?

Prof. Peters: So schnell kapituliert das Immunsystem nicht! Tatsache ist sicher, dass wir über diese neue Herausforderung an unsere körpereigene Abwehr noch eine ganze Menge lernen müssen. Eigentlich schützt die Immunantwort uns ja im Prinzip recht erfolgreich gegenüber Keimen aus der Umwelt. Was die erste Verteidigungslinie des Immunsystems, das angeborene – unspezifische – Immunsystem, allerdings nicht schafft, ist, die Ausbreitung von Keimen in vollem Umfang zu verhindern. Dazu muss der Erreger genau erkannt und die spezifische – erworbene – Abwehr aktiviert werden. Dieser Lernprozess hat dann günstigenfalls zur Folge, dass der Infekt ausheilt und bei erneutem Kontakt mit dem Erreger die Abwehr schneller erfolgen kann, oder man gänzlich immun wird gegen diesen Erreger. Statt die möglichen negativen Folgen einer Infektion mit dem Virus in Kauf zu nehmen, kann eine Impfung diese Aktivierung vorwegnehmen.

Gibt es dabei geschlechtsspezifische Unterschiede?

Prof: Peters: Durchaus, unter anderem durch den Einfluss der Geschlechtshormone, wobei der Geschlechterunterschied sicher aus mehr als den hormonellen Differenzen besteht, sondern auch aus unterschiedlichen Lebensbedingungen und damit Stresskonstellationen. Das – weibliche – Östrogen unterstützt den Aufbau und die Differenzierung von Abwehrzellen der spezifischen Immunantwort, um so Schwangerschaft zu ermöglichen und eine Abstoßung von fremden Genen im Fötus zu verhindern. Das - männliche - Testosteron unterdrückt diese Immunantwort eher und fördert die angeborene Immunantwort, was zunächst gut für die Abwehr neuer Keime unter Kampf und Fluchtbedingungen ist, aber die Ausheilung von Infekten verhindert und zur Entwicklung einer extremen Form, der Sepsis, beitragen kann. Wir wissen von unterschiedlichen Krankheitsverläufen von Infektionskrankheiten bei Männern und Frauen nicht erst seit Covid-19. Selbst ein harmloser Schnupfen bewirkt bei Männern oft mehr Beschwerden, verläuft langwieriger. Zumindest ist der Testosteron-Ansatz einer von mehreren Gründen, warum Männer schwerer an viralen Erkrankungen leiden als Frauen.

Welche Rolle spielt Stress als Auslöser verschiedener Erkrankungen bzw. in Zusammenhang mit dem Immunsystem? 

Prof. Peters: Stress hat zunächst den Effekt, dass er die angeborene Immunabwehr aktiviert. Adrenalin und weitere Stressbotenstoffe werden ausgeschüttet, Zellen der unspezifischen Immunabwehr werden aktiv und gleichzeitig wird die Achtsamkeit erhöht. Ich nenne das immer- die Truppen werden mobilisiert. Ist der Körper gesund, folgt nach einer Weile die Umstellung auf spezifische Immunabwehr und der Infekt wird erfolgreich bewältigt.
Stress kann aber auch das Gegenteil bewirken, und zwar, wenn es sich um starken und langandauernden, also chronischen Stress, handelt. Dann haben es Angreifer wie virale Keime leicht. Das Immunsystem wird quasi blind für die neue Herausforderung und der Körper kann fast ungehindert eingenommen werden, ohne großen Widerstand.

Gerade dies wird in der Pandemie diskutiert – nicht zuletzt deshalb, weil eine Reihe von Maßnahmen sicher zur Erhöhung des Stresslevels bei vielen Menschen beigetragen hat, ich nenne nur Homeoffice und Homeschooling, letzteres hat vor allem Frauen betroffen ...

Prof. Peters: Ja, das kann ich nur bestätigen, auch ich bin eine dieser Frauen, und es hat mich sehr bewegt, als kürzlich statistisch belegt wurde, dass gerade der wissenschaftliche Output von weiblichen Wissenschaftlern in der Pandemie zurück ging. Eigentlich berührt dies eine ganz elementare Aufgabe meines Fachgebiets, die gewissermaßen durch die Herausforderungen der Covid-19 Pandemie noch einmal ganz besonders beleuchtet wird: Inwieweit entstehen durch psychosoziale Belastungen, die zum einen die ganze Gesellschaft betreffen, zum anderen aber Teile der Gesellschaft in besonderem Maße, Stressbotenstoffe, die die Entwicklung und Intensivierung von Erkrankungen begünstigen und eine Immunantwort erschweren können, und inwieweit trifft dies auch auf Virusinfektionen der Atemwege, wie z.B. COVID-19, zu? Zugegebenermaßen ist für eine umfassende Antwort auf diese Fragen noch viel Forschungsarbeit notwendig.
Zudem ergeben sich auch immer neue Fragestellungen in diesem Zusammenhang, zum Beispiel inwieweit bereits die Impfstoffforschung und Impfstoffentwicklung die vorhandenen psychoneuroimmunologischen Erkenntnisse nutzen kann. Was man aufgrund von Forschung zu anderen viralen Atemwegsinfekten jetzt schon sagen kann, ist, dass chronische Stressoren Impfeffekte abschwächen können, dass das Miterleben der Pandemie aber nicht unbedingt zu chronischem Stress führen muss, denn es hat sich auch viel Positives und Entspannendes durch die Maßnahmen eingestellt, wie eine Reihe von spannenden aktuellen Studien nahelegt. Hier ist also ein genauer und integrierter Betrachtungswinkel gefragt, der biologische und psychosoziale Faktoren gleichermaßen betrachtet.

Dass es wichtig wäre, im Zusammenhang mit Krankheitsvermeidung, aber auch der Optimierung des allgemeinen Wohlbefindens, das Immunsystem zu stärken, ist ja nicht neu. Warum greift diese Forderung so wenig? Was würden Sie sich, auch mit Blick auf die Prävention in der weiteren Pandemiebewältigung, wünschen?

Prof. Peters: Wir haben es hier mit einer Mammutaufgabe zu tun, die Wissenschaft und Medizin nicht allein bewältigen können. Natürlich weiß es jeder, dass Lebensstilveränderungen wichtig sind, um gesund zu bleiben. Die Medien sind voll guter Ratschläge: ausreichend schlafen, Freunde treffen, Freude und Erfüllung im Beruf suchen, entspannen, sich in der Natur bewegen, sich gesund ernähren, Stress vermeiden oder besser, solchen zu aktivieren, der die Immunabwehr trainiert. Das alles hilft nicht nur, ein positives Lebensgefühl zu erlangen, sondern auch eine gesunde Immunantwort.
Doch wie es scheint, ist das alles leichter gesagt als getan, oder folgen Sie jedem guten Rat? Aber unmöglich ist es nicht, weil erlernbar, vor allem, wenn man gesunden Lebensstil früh im Leben lernt. Ideal wären also entsprechende Unterrichts- und Präventionskonzepte z.B. schon für die Kita oder die Schule. Um Präventionsprogramme bemühen sich ja die Krankenkassen seit vielen Jahren – bislang leider nicht sehr erfolgreich und übrigens auch selten geschlechtersensibel.
Ich denke, dass hier mehr und neue Kooperationen entstehen sollten: zwischen verschiedenen Forschungsbereichen, aber auch zu den Anbietern von Gesundheitsleistungen. Ich würde mir wünschen, dass die Pandemie dies nicht nur herausfordert, sondern auch bewirkt.

Vielen Dank, wir sind gespannt auf Ihren Vortrag bei unserer Septembertagung „Pandemie und Gendermedizin: Prävention und Gesundheitsförderung neu gedacht“ in Greifswald!

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