Zoom-Kurs: Wissen via Tiflis nach Indien

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15.08.2022
Professorin Dr. Dr. Bettina Pfleiderer von der Medizinischen Fakultät der Universität Münster, von 2016 bis 2019 Präsidentin des Weltärztinnenbundes, war im Sommersemester 2022 Gastprofessorin an der Medizinischen Fakultät der Grigol Robakidze Universität in Tiflis, der Hauptstadt Georgiens. Ihr Thema: Geschlechtersensible Medizin. Sie berichtet uns über ihre Erfahrungen.

Ich habe mich natürlich gefreut, diesen ersten Kurs über geschlechtersensible Medizin in Georgien halten zu dürfen, der zum Ziel hatte, damit ein neues Modul in die Pflichtlehre des internationalen Medizinstudiengangs dieser staatlich anerkannten Privatuniversität zu implementieren. Namenspatron der Uni war übrigens der georgische Schriftsteller Grigol Robakidse, der von 1931 bis 1962 im Exil in Deutschland und der Schweiz lebte.

Der Kurs wurde auf Englisch via Zoom - an zwei Samstagen jeweils sechs Stunden - abgehalten und umfasste insgesamt 28 Semesterwochenstunden. Neben einem Vortrag mussten die Studierenden noch eine schriftliche Multiple-Choice-Prüfung am Ende des Kurses ablegen.

Die Kursmaterialien hatte ich gleich mitgeliefert – sie stammten zum größten Teil von der englischen Version unserer Münsteraner online-Plattform GenderMed-Wiki:
https://gendermedwiki.uni-muenster.de/mediawiki_en/index.php/Welcome_to_GenderMed-Wiki 

Die Inhalte umfassten Grundlagen der geschlechtersensiblen Medizin ebenso wie Geschlechteraspekte z. B. bei Depression, Herzinfarkt, COVID-19 sowie in der Pharmakologie.

Insgesamt nahmen 24 indische Studierende an dem Modul teil. Und für unsere deutschen Verhältnisse inzwischen ungewöhnlich beim Medizinstudium: 70 Prozent von ihnen waren junge Männer. Die Teilnehmenden am internationalen Studiengang der Medizin kommen fast alle aus Indien.

Ich fragte mich zum Beginn natürlich auch: Wie unterscheidet sich die medizinische Lehre in Georgien und Deutschland?

Die Studierenden waren interessiert an diesem Thema, denn sie wählten dieses Modul freiwillig aus, aber ich merkte sehr schnell, dass die medizinische Lehre ganz anders als in Münster ist. Fast alles wird auswendig gelernt, meistens findet ein Frontalunterricht der Lehrenden statt, es gibt keinen Patientenkontakt und/oder Famulaturen (was an der Sprachbarriere liegt) und eigenständiges Arbeiten oder Referate zu halten ist sehr ungewohnt. Entsprechend musste ich mein aus Münster bewährtes didaktisches Konzept mehrfach umstricken, viel improvisieren und andere Schwerpunkte legen. Insgesamt stellte ich zudem fest, dass auch ein Unterricht via Zoom nur bedingt geeignet ist, weil das die Interaktion mit den Studierenden erschwerte. Aber ich fand in der Summe die Diskussion spannend, da vieles dann in den indischen Kontext gestellt wurde. Durch meine langjährige Arbeit im Weltärztinnenbund bin ich damit auch etwas vertraut.

Es könnte möglich sein, dass es eine Fortsetzung dieses Kurses gibt, da ich bereits auch angefragt wurde, zum Thema Häusliche Gewalt zu unterrichten. Gerade für Indien ist diese Problematik ja hochbrisant. Viele Lehrmaterialien liegen bereits durch die online-Lehrplattform zur häuslichen Gewalt des EU Projekts IMPRODOVA vor, ich könnte beide Kurse dann in einer Woche anbieten. Aber für die zweite Auflage möchte ich warten, bis das wieder in Präsenz möglich ist. Tiflis, uralt, mit illustrer Geschichte und vielfältiger Architektur, ist auf jeden Fall eine Reise wert!
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