„Dann machen Sie es!“

Dr. med. Viyan Sido hat eine geschlechterspezifische Herzsprechstunde eingerichtet – und ihr Chef bestärkte sie. Keine Selbstverständlichkeit.

Interview
23.10.2022
Dr. med. Viyan Sido ist Herzchirurgin und arbeitet am Immanuel Klinikum Bernau. Die junge Ärztin ist begeistert von der geschlechtersensiblen Medizin. Wir sprachen mit ihr.

Man hat das Gefühl, Sie stecken voller Unruhe und möchten gern noch mehr bewegen ...

Dr. Sido: Das ist so! Vieles geht mir zu langsam. Dass ich jetzt am Klinikum eine spezielle Frauen-Herzsprechstunde einrichten konnte, hat ja eine Vorgeschichte. Mit Gender Medicine und insbesondere im Fach Kardiologie und Herzchirurgie befasse ich mich schon lange, hatte dabei von Professorin Sandra Eifert gehört, die ja solch eine Sprechstunde in Leipzig am Herzzentrum schon etliche Jahre anbietet. Viele meiner Kollegen und Kolleginnen waren anfangs sehr skeptisch. Was sollte das bringen? Wir sind immer so sicher, dass die Vorteile einer geschlechterspezifischen medizinischen Behandlung allen bekannt ist – das ist aber nicht so! Fragen Sie mich nicht warum. Jedenfalls muss noch viel getan werden, und dabei möchte ich mitmachen. Die Gleichbehandlung von Frauen und Männern ist gesellschaftlich unbestritten. In der Medizin kann sie jedoch auch gefährlich sein, denn die biologischen und hormonellen Unterschiede zwischen Mann und Frau beeinflussen nicht nur Krankheitsverläufe, sondern beispielsweise auch die Wirkungen von Medikamenten und Therapieansätzen.


Wie kam es dazu, dass Sie diese Sprechstunde in Bernau installieren konnten?

Dr. Sido: Ich hatte mir viele Gedanken dazu gemacht und bin damit zu meinem Vorgesetzten, Prof. Johannes Albes, Chefarzt der Herz- und Gefäßchirurgie, gegangen. Was soll ich sagen – zuerst reagierte er auch ablehnend, nach dem Motto – das brauchen wir nicht. Aber es dauerte nur ein paar Tage und er war aufgeschlossen gegenüber der Idee.
Ich meine, wir wissen heute, Frauen haben andere Symptome beim Herzinfarkt, werden oft zu spät ins Krankenhaus gebracht und sterben häufiger als Männer! Wir waren also beide überzeugt, dass so eine Frauen-Sprechstunde Erfolg haben würde! Deshalb sagte er zu mir – machen Sie es! Ohne ihn wäre das alles natürlich nie möglich gewesen.

Vielleicht sollten Chefärzte und andere Entscheider mal häufiger solchen Ideen Gehör schenken! Sie leiten die Ambulanz für geschlechtersensible Herzmedizin mit spezieller Frauensprechstunde – und wie läuft es?

Dr. Sido: Ich habe zu tun und viele Projekte sind geplant, aber es zeigt sich – wir müssen noch mehr und überall darüber reden. Auch männliche Patienten sind in der Herzsprechstunde willkommen, aber die Geschlechterunterschiede in der Medizin sind immer noch irgendwie ein Tabuthema, vielleicht auch bei manchen Hausärzten. Daher sollten wir immer wieder damit auch in die Öffentlichkeit gehen. Nicht zu vergessen, dass geschlechtersensible Medizin eben allen Geschlechtern etwas bringt!
Wir könnten mit unseren Behandlungsergebnissen viel besser dastehen, wenn Gender Medicine wirklich das Querschnittsthema wäre, von dem wir inzwischen ja auch reden. Dass sie in die Curricula kommt, wird höchste Zeit, und ich freue mich, dass auch die Medizinische Hochschule Brandenburg, mit der unser Klinikum als Ausbildungsort verbunden ist, hier Fahrt aufnehmen will. Aktuell haben mich Studierende angesprochen, bei ihnen Vorträge zu zum Thema Gendermedizin zu halten.

Sie sind Herzchirurgin, was sagen Sie zu den kanadischen Studienergebnissen, die von erfolgreicheren Operationsergebnissen berichten, wenn Frauen Frauen operieren?

Dr. Sido: Das muss sicherlich noch weiter belegt werden. Wichtig ist ja auch erst einmal, dass Frauen im Fach Chirurgie die Möglichkeit bekommen zu zeigen, was sie können. Das ist ja gerade der Prozess, in dem wir uns befinden. Frauen sind in der Chirurgie unterrepräsentiert, das ändert sich Schritt für Schritt, nicht zuletzt auch, weil es ja inzwischen viel mehr weibliche Studierende gibt als männliche. Die Medizin wird zwar immer weiblicher, aber der Weg in Führungspositionen ist für Frauen immer noch schwierig. Ich bin froh, dass sich hier etwas bewegt – und ich schreibe gerade an meiner Masterarbeit im Fach Public Health mit dem Thema „Die Nicht-Unterlegenheit von Frauen in chirurgischen Fächern“.

Ich sehe, wir ziehen an einem Strang und freue mich auf weitere Kontakte und Zusammenarbeit!

Das Interview führte Annegret Hofmann
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