Prof.Dr.Dr.h.c. Regitz-Zagrosek und Dr. Birke Schneider eröffneten das Symposium. Ziel der von der DGesGM organisierten Veranstaltung war es, den Austausch von Wissen und Erfahrungen unter den ExpertInnen zu ermöglichen, gemeinsam Zukunftsthemen in der Gendermedizin zu definieren und diese zu bearbeiten. Synergien können so bestmöglich genutzt werden, um die Translation grundlagen-wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Klinik effektiver zu gestalten. Die fundamental neue Sichtweise in der Medizin, beide Geschlechter gleichberechtigt zu erforschen und zu behandeln, zieht die systematische Implementierung dieser Erkenntnisse sowohl in die universitäre Ausbildung als auch in die fachärztliche Weiterbildung nach sich. Auch dieses wurde thematisiert. Entscheidungsträgern aus der Politik, der Wirtschaft und der Pharmaindustrie sollen die Zukunfts-themen zur Verfügung gestellt werden, so der Beschluss der Runde.
Spätestens nach dem Vortrag von Dr. Sanne Peters, The-George-Institute for Global Health, University of Oxford, wurde allen schnell klar, dass die Datenlage in Europa trotz Megastudien bezogen auf die Fallzahlen, keineswegs vollständig ist. Wer fragt schon Männer nach Kinderzahl, Ehejahren, beruflichen- und familiären Stressbelastungen sowie zur Andropause? Wollen wir wissen, ob es eher die multiplen Schwangerschaften sind, die die Inzidenz der koronaren Herzerkrankung mit der Anzahl der Kinder ansteigen lässt oder die Tatsache, dass eine steigende Anzahl von Kindern jeden Tag zu versorgen ist?! Dann ist die Frage nach der Kinderzahl bei Männern gleichwertig bedeutend. Auch bei ihnen steigt die Inzidenz der KHK mit der Anzahl der Kinder in gleichem Maße an wie bei den Frauen, ca 5% mit jedem weiteren zusätzlichen Kind. Jedenfalls ist das eine Berechnung aus chinesischen Datensätzen (Peters SA, Int J Epidemiol. 2016), und wie ist das in Deutschland?
Die geschlechtsspezifischen Mechanismen der koronaren Herzerkrankung sind weiterhin ein Zukunftsthema und werden im GenCAD Projekt des GIM europaweit umfassend bearbeitet. Nicolas Alexander berichtet über die Erarbeitung von Informationsmaterialien, die z.B. als Factsheets nach der Abschlusskonferenz Ende 2017 in Berlin der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen werden.
Der Einfluss des Geschlechts auf das Überleben nach TAVI und Entwicklungen in der Herz-Thoraxchirurgie wurden von den ExpertInnen aus München Prof. Julinda Mehilli und Prof. Sandra Eifert diskutiert. Synergien in der Zukunft ergeben sich insbesondere bei der Weiterentwicklung der technischen Devices. Denn sowohl bei TAVI als auch bei der ACVB Chirurgie haben Frauen oft eine höhere Komplikationsrate, die direkt mit dem Eingriff im Zusammenhang steht. Im Vergleich zu den Männern gibt es aber eine günstigere Überlebenswahrscheinlichkeit. Weitere Themen, die die ChirurgInnen in Zukunft interessieren, sind immunologische Fragestellungen nach herzchirurgischen Eingriffen.
Stephanie Funk aus der AG Kardiale MRT am Experimental and Clinical Research Center (MDC und Charité) rückte die MRT Diagnostik in den Focus der Gendermedizin. Keine Frage, dass es sich hier um ein Zukunftsthema handelt, kann man doch nicht-invasiv fast alle kardialen Erkrankungen darstellen, unabhängig vom Geschlecht und Alter. Die Geschlechterunterschiede beim linksventrikulären Remodelling in Abhängigkeit vom metabolischen Syndrom und Zuständen der Ischämie- Reperfusion können mit weiter entwickelten Methoden immer detaillierter sichtbar gemacht werden. Thema bei der geschlechtersensiblen Diagnostik sind immer wieder die Referenzwerte. Frau Funk zeigte neue Daten, die einmal mehr zeigen, wie wichtig es ist, die gemessenen Werte z.B. das enddiastolische Volumen des linken Vorhofs in „ml“ auf die Körperoberfläche zu beziehen, um die Werte zwischen den Geschlechtern vergleichbar zu machen. Die Referenzwerte als absolute Zahlen in ml liegen bei Frauen niedriger im Vergleich zu Männern.
Die Onkologie wurde von den Anwesenden als ein „vernachlässigtes“ Thema in der Gendermedizin identifiziert und soll in Zukunft mehr in den Fokus der wissenschaftlichen Arbeiten gerückt werden. PD.Dr.Harun Badakhshi, Chefarzt der Klinik für Strahlentherapie im Klinikum Ernst von Bergmann Potsdam, wurde als neues Mitglied in der DGesGM begrüßt. Er wird sich um die wissenschaftlichen Fragestellungen in der Onkologie kümmern und zunächst zusammen mit Dr. Ute Seeland die vorhandene Literatur zusammenfassen. Eine gute Grundlage, um das Thema auf Veranstaltungen der Fachgesellschaft für Onkologie vorzustellen und zu diskutieren.
Hilfreich für die Literaturarbeit, nicht nur in der Onkologie, ist die von Dr. Ute Seeland, Institut für Geschlechterforschung in der Medizin (GIM) der Charité, entwickelte „eGendermedizin / eGender Medicine“ Lern- und Kommunikationsplattform mit acht Modulen in zwei Sprachen. Die geschlechtersensiblen Fakten zu onkologischen Themen und zur Pharmakologie sind als Querschnittsfächer den einzelnen fachspezifischen Modulen zugeordnet. Die Website ist über http://egender.charite.de/ zu erreichen. Die eGender Plattform ist ein Meilenstein im Rahmen der systematischen Implementierung gendermedizinischer Lehre in das Medizinstudium und die ärztliche Aus- und Weiterbildung (Seeland U et al. Biol Sex Differ. 2016 Oct 14;7:39). Der eLearning Kurs kann in Masterstudiengänge integriert werden oder ergänzend zum Frontalunterricht und in Kombination mit online kollaborativen Aufgaben als „blended learning“ im Rahmen des Medizinstudiums angeboten werden. Die online Module vermitteln evidenzbasierte geschlechterspezifische Grundlagen, die in der Gesundheitsversorgung, dem ärztlich-klinischen Bereich, der Forschung und in der Gesundheitspolitik benötigt werden, um auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen und Männern eingehen zu können und nachhaltig zur Verbesserung der Gesundheit aller Geschlechter beizutragen. Die Lehrmaterialien und die „GenderMedDB“, die PubMed basierte Literaturdatenbank, werden 2017 zusammen mit den ExpertInnen der DGesGM weiterentwickelt.
Über den Stand der Integration geschlechterspezifischer Aspekte in das reguläre Medizinstudium in Deutschland berichtete Dr. Sabine Ludwig vom Prodekanat der Charité-Berlin. Durch das „Change Agent“ Konzept gelang die vollständige Integration der Gendermedizin in den Modellstudiengang der Charité. Wie effektiv dieses ist, bezogen auf die Leistungen der Studierenden im Staatsexamen und bei der ärztlichen Tätigkeit im PJ und ÄIP, ist Gegenstand der laufenden Evaluationen. Andere Universitäten bieten Ringvorlesungen, Wahlmodule und Seminare an. Das Interesse deutscher Universitäten zur systematischen Integration der geschlechtersensiblen Aspekte in das Medizinstudium ist groß, so dass Konzepte zur Unterstützung bei der Umsetzung von den Charité Mitarbeiterinnen entwickelt werden.
In der abschließenden Diskussion trugen die ExpertInnen die wichtigsten Zukunftsthemen zusammen mit dem Ziel forschungspraktische Konsequenzen davon abzuleiten.
Bericht:
Dr. Ute Seeland