Berlin war für vier Tage Treffpunkt der Gendermediziner aus aller Welt

Prof. Hetzer und Prof. Regitz-Zagrosek auf dem Gendermedizin Workshop, März 2011 in Berlin
Foto: Contentic
Am Sonntag beginnt in der Berlin der 7. Kongress der Internationalen Gesellschaft für Gendermedizin, am Dienstag und Mittwoch schließt sich der Internationale Kongress für Geschlechterforschung in der Medizin an. Rund 350 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt treffen sich an vier Tagen in der deutschen Hauptstadt, um die wichtigsten und aktuellsten Forschungsergebnisse zur Gendermedizin auszutauschen.
Wir sprachen mit Prof. Dr. Dr. Vera Regitz-Zagrosek, Kongresspräsidentin und Direktorin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin (GIM) an der Berliner Charité, und Prof. Dr. Dr. Roland Hetzer, bis 2014 Ärztlicher Direktor des Deutschen Herzzentrums Berlin.


Im Deutschen Herzzentrum Berlin hat die Gendermedizin in Deutschland ihren Anfang genommen. Sie, Herr Prof. Hetzer, waren quasi der Geburtshelfer...?

Prof. Hetzer: Im Prinzip gab es eigentlich mehrere, vielleicht auch, weil die Zeit reif war und viele Impulse aus den USA kamen. Die Idee einer Geschlechterforschung und einer entsprechenden Professur entstand in der Charité, wir haben als Herzzentrum dann die Möglichkeiten geschaffen und mit Frau Regitz-Zagrosek eine engagierte Wissenschaftlerin gefunden, die sich des Themas schon länger angenommen hatte. Sie erhielt die Professur für frauenspezifische Gesundheitsforschung mit Schwerpunkt Herzkreislauf-Erkrankungen, die erste und bisher einzige ihrer Art in Deutschland.

Prof. Regitz-Zagrosek: Ich hatte die Möglichkeit, eine Reihe von Studien im Zusammenhang mit Herzerkrankungen bei Frauen durchzuführen, z. B. zu deren höherem Risiko bei Herzoperationen. Ein weiterer Meilenstein war die Gründung unseres Instituts für Gender in der Medizin 2003 an der Charité. 

Prof. Hetzer: Es gab natürlich Erfahrungswerte bei den Herzspezialisten, aber gerade die Geschlechsspezifk hatte zuvor noch keiner zum Thema gemacht. Das bleibt auch eine große Herausforderung für die Forschung. Viele Unterschiede werden in Diagnostik und Therapie bei Patientinnen und Patienten beobachtet, aber vieles wird immer noch zu wenig hinterfragt. Warum zum Beispiel sind Aortenaneurysmen bei Männern zwar häufiger, verlaufen bei Frauen aber problematischer? Oder nehmen wir die Unterschiede bei der Herztransplantation oder beim Einsatz der künstlichen Herzpumpen, auch hier gibt es noch viele offene Fragen.
Ich freue mich umso mehr, dass die Gendermedizin in Bezug auf die Herzerkrankungen von Berlin aus eine so gute Entwicklung genommen hat!

Der bevorstehende Kongressmarathon beschreibt den Stand der geschlechtsspezifischen Medizin auf eine ganz besondere Weise...

Prof. Regitz-Zagrosek: Highlights sind z. B. neue geschlechtsspezifische Biomarker für kardiovaskuläre Erkrankungen – auch für die Diagnose des Myokardinfarktes, Geschlechterunterschiede bei genetischen und epigenetischen Mechanismen, bei Schlaganfall und Hypertonie, der Tako Tsubo-Kardiomyopathie, bei frauentypischen Koronarerkrankungen, so z. B. auch in der Schwangerschaft, und Diabetes. Wir werden die Gendermedizin in ihrem weltweiten Spektrum diskutieren und die Beziehung zwischen Gleichstellung und Geschlechterforschung in einer Podiumsdiskussion kritisch hinterfragen. Besonderes Augenmerk gilt auch unserer Forderung, die Gendermedizin in die Lehre zu implementieren. Und natürlich geht es uns darum, die Gesundheitsversorgung durch diese neuen Erkenntnisse zu verbessern. Für Frauen wie auch für Männer.

Vor wenigen Wochen ist das EuGenMed-Projekt zur Erstellung einer europäischen Roadmap mit Blick auf die Gendermedizin zu Ende gegangen. Wird der Kongress für Geschlechterforschung in der Medizin den nun beschrittenen Weg fortführen?

Prof. Regitz-Zagrosek: Wir greifen die Themen des EuGenMed-Projekts auf, z. B. mit drei Sessions zu den europäisch diskutierten Themen wie Grundlagenforschung, Public Health und Arzneimittelentwicklung. Unser Ziel ist ein europäisches Netzwerk Gendermedizin.
Dass wir hier weltweit wirklich ein gutes Stück vorangekommen sind, zeigen jüngste Entwicklungen. Die amerikanische Gesundheitsbehörte NIH hat im Juni dieses Jahres gefordert, bei Beantragung von Forschungsförderung die Geschlechterspezfik zu berücksichtigen. Und erst kürzlich wurde eine Gender-Gesundheitsagenda vom niederländischen Ministerium für Gesundheit verabschiedet. Erfreulich war auch, dass es beim vor wenigen Tagen zu Ende gegangenen Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie gleich mehrere Sessions zu Themen der Geschlechterspezifik gegeben hat. Das war neu – und ebenso, dass diese Veranstaltungen sehr gut besucht waren.
Wir sehen also überall Fortschritte, die Gendermedizin wird wahr- und erstgenommen. In Berlin wird die Gendermedizin-Community den internationalen Dialog mit den Partnern nicht nur aus Forschung und Gesundheitssystem, sondern auch aus der Wirtschaft und der Politik fortsetzen.

(Prof. Dr. Dr. Roland Hetzer wird am 22. September 2015, den Eröffnungsvortrag zum Internationalen Kongress für Geschlechterforschung in der Medizin halten.)