Debatte in Greifswald:
Individualisierte und/oder
geschlechterspezifische Medizin oder...?

Viele neue und noch wenig bekannte Fakten aus medizinischen Fachbereichen, die nachdrücklich erhobene Forderung, geschlechterspezifische Aspekte in weitreichende Gesundheitsprogramme selbstverständlich zu verankern – das bestimmte die Diskussion einer hochkarätig besetzten Fachtagung der Stiftung Alfried Krupp Kolleg Ende März in Greifswald. „Gender Aspekte in der Individualisierten Medizin“ suchte das Verbindende: Impliziert die IM bereits die geschlechtsspezifischen Unterschiede? Ist GM mit ihrem sozio-kulturellen Ansatz mehr als IM, müssen sich beide voneinander abgrenzen?
Dazu Dr. med. Elpiniki Katsari, Greifswald, Herzchirurgin und Mitorganisatorin der Fachtagung: „Es ist schon zu erwarten, dass sich die individualisierte Medizin sich auch mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Vorsorge, Diagnostik und Therapie der unterschiedlichen Erkrankungen beschäftigt. Allerdings wurde bis jetzt dem Individuum eher eine neutrale Identität vergeben und über sein Geschlecht kaum ein Wort verloren. Bei den bereits vorhandenen Studien wird wenig nach Geschlecht differenziert.“

Den wissenschaftlichen Hintergrund der Fachtagung lieferte das Greifswalder Forschungsvorhaben GANI_MED. Die dort gewonnenen Erkenntnisse zu einer individualisierten Medizin sollen eine bessere Gesundheitsversorgung befördern helfen. Noch einmal Dr. Katsari: “Im Rahmen des GANI_MED Forschungsprojekts wird eine erhebliche Menge von Daten unter anderem mittels molekularbiologischer Untersuchungen und bildgebender Verfahren erhoben und je nach Fragestellung analysiert. Bereits vorliegende große Kohortenstudien, z.B. Framingham, PROCAM oder KORA, zeigten, dass signifikante Unterschiede im Stoffwechselprofil von Männern und Frauen bestehen. Die Unterschiede betreffen vor allem Fette, Aminosäuren und Ester-Verbindungen, mit der Folge, dass  beide Geschlechter z.B. unterschiedlich Pharmaka metabolisieren. Daraus folgt, dass wir auf jeden Fall geschlechtsspezifische Ansätze zur Therapie von Erkrankungen benötigen. Auf der anderen Seite setzt sich Indiviualisierte Medizin das Ziel, genauere Voraussagen über Krankheitsrisiken und -prognosen einzelner Patientengruppen zu ermöglichen. Das bedeutet letztlich, wir brauchen auch geschlechtersensibel präventive Programme, um beide Geschlechter zu erreichen und das Bewusstsein für die Eigenverantwortung für Gesundheit zu steigern.”

Die Tagung spannte den Bogen von übergreifenden Fragestellungen wie „IM und Geschlecht als heuristische Kategorie” – von Prof. Mariacarla Gadebusch Bondio, München, „Gendermedizin – Status quo in Deutschland und international“ von Prof. Vera Regitz-Zagrosek, von sozial-epidemiologischen Ergebnissen bis zu solchen aus Fachgebieten wie Nephrologie, Pharmakologie, Kardiologie. Erfreulich, dass auch Themen, die mitunter in der Gendermedizindebatte zu kurz kommen, breiten Raum einnahmen: Männergesundheit – engagiert vorgestellt von Thomas Altgeld, Hannover, Erfahrungen des Wiener Frauengesundheitsprogramms von Prof. Beate Wimmer-Puchinger und andere.
Eine endgültige Antwort auf die Ausgangsfrage des Verhältnisses von IM und IM blieb auch diese Tagung schuldig. Den Wissensstand der Zuhörer – zu wenige aus meiner Sicht angesichts der geballten Kompetenz der Vortragenden – hat sie zweifellos befördert – mit Konsequenzen, was zu hoffen ist.
(Weitere Themen der Greifswalder Tagung demnächst im Newsletter und auf der Website www.gendermed.info)
AH