Geschlechtergerechte Medizin in der Diskussion:
Noch nicht austariert

„Gesundheit für Frauen? Gesundheit für Männer? Für alle!“ Durchaus programmatisch war das Thema einer Gesprächsrunde der Friedrich-Naumann-Stiftung in Bochum gewählt, zu der ich als Mit-Diskutantin geladen war. Durchaus realistisch die Einschätzung der ReferentInnen und Gäste: Bis hin zu einer wirklich geschlechtergerechte Medizin ist noch eine gute Wegstrecke zurückzulegen.

Dabei legte Susanne Schneider, Mitglied des Landtages NRW und Sprecherin für Gesundheit der FDP-Fraktion, schon mal einen Finger auf eine Wunde. „Die bisherigen Aktivitäten konzentrieren sich vor allem auf solche Projekte, die Gendermedizin ausschließlich als Frauenmedizin verstehen. Das ist bei uns in NRW sehr ausgeprägt. Darum allein kann es bei der Gendermedizin aber nicht gehen.“

Prof. Dr. Petra Kolip, Professorin für Prävention und Gesundheitsförderung an der Universität Bielefeld, sieht schon Fortschritte: „In die Gesundheitsberichterstattung des Bundes sind in den letzten Jahren mehr und mehr Ergebnisse eingeflossen, die die Geschlechtsspezifik berücksichtigen.“ Nun wird ein Männergesundheitsbericht der Bundesregierung erwartet, neben dem – ja nun nicht mehr ganz taufrischen – Frauengesundheitsbericht von 2001. Dass beim Schwergewicht auf eine bessere gesundheitliche Versorgung vor allem auch Jungen zum Teil dem Kürzeren ziehen, darüber waren sich alle in der Runde einig.
Prof. Kolip verwies darauf, dass Geschlechterdifferenzierung allein nicht ausreicht, sondern soziale Parameter mit­entscheidend sind: „Die Unterschiede zwischen den Geschlechtergruppen sind häufiger größer als zwischen den Geschlechtern.“ Beispiel Tabakkonsum: 71 Prozent aller arbeitslosen Männer rauchen, aber auch fast 70 Prozent aller alleinerziehenden Frauen.

Exemplarisch für die Notwendigkeit eines differenzierten Herangehens ist auch die Bewertung psychischer Erkrankungen. Dr. Hans Joachim Thimm, Psychiater in der LWL-Klinik Dortmund, hatte dazu Zahlen. Sie zeigen – Frauen leiden häufiger an den verschiedenen Ausprägungen psychischer Erkrankungen als Männer. Aber, so Dr. Thimm: „Bei Männern müssen wir bei Diagnostik und Therapie ganz anders vorgehen, das haben wir inzwischen gelernt.“

Ein Begriff fiel immer wieder, der alle diskutierten Themen miteinander verband: der der Kommunikation. Das Netzwerk „Gendermedizin & Öffentlichkeit“ mit seinen Möglichkeiten des Erfahrungsaustausches und der Impulse für die Praxis kann dabei viel bewegen. Kommunikation auf vielerlei Ebenen ist notwendig: zwischen den Fachleuten (was bedeutet geschlechtsspezifische Medizin in meinem Fach und was kann ich von KollegInnen lernen), zwischen Fachleuten und Politik (differenzierte Medizin muss nicht mehr kosten, aber sie ist effizienter) – und mit den – potenziellen – Patientinnen und Patienten: Sie sind es nicht zuletzt, die eine differenzierte Medizin einfordern müssen. Dem stimmte das Publikum in der lebhaften Diskussion uneingeschränkt zu.

Annegret Hofmann