„Mit unserer Einrichtung sind wir ein Leuchtturm“, sagt die Leiterin des Zentrums für Seelische Frauengesundheit am Berliner Humboldt-Klinikum, Prof. Dr. Stephanie Krüger. Wir sprachen mit ihr.
Stress, Burnout, Depression – das alles betrifft, wenn man so will, die Seelen beider Geschlechter. Warum seelische Frauengesundheit, was ist daran so speziell? Und: Ist das nicht ein Rückgriff auf quasi überwundenes Denken, dass nämlich das Empfindsame, die Seele also, vor allem eine weibliche Domäne sei?
Prof. Krüger: Eben gerade nicht. Mit der Erkenntnis der Unterschiedlichkeit der Geschlechter unter medizinischen Gesichtspunkten – in ihrer Biologie, ihrem Stoffwechsel oder in unterschiedlicher Ausprägung von Erkrankungen, aber auch in der sozialen Verortung – wird es immer notwendiger, auch eine auf diese Unterschiedlichkeit ausgerichtete Diagnostik und Therapie anzubieten. In unserem Zentrum stehen solche psychischen Störungen und Erkrankungen im Mittelpunkt, die in Bezug zur konkreten Lebenswelt der Patientinnen entstanden sind – durch Belastungen im Beruf, durch Schwangerschaft und Geburt, in den Wechseljahren, in problematischen Beziehungen, bei Krebserkrankungen. Solche psychischen Beschwerden und Erkrankungen bedürfen einer besonderen Diagnostik und Therapie und setzen natürlich die Kenntnis der komplizierten Zusammenhänge zwischen Körper und Seele voraus. Mit solchen Aspekten befasse ich mich schon seit vielen Jahren und freue mich deshalb besonders, in diesem in Deutschland einmaligen Zentrum arbeiten zu dürfen.
Wie erfahren die Frauen, die solche Hilfe benötigen, von diesem Angebot?
Prof. Krüger: Leider noch zu selten von ihren Ärzten. Sehr viele unserer Patientinnen haben mit ihren Problemen schon eine richtige Odyssee hinter sich, bevor sie bei uns vorstellig werden. Viele Beschwerden werden quasi punktuell behandelt, sei es die Schlaflosigkeit, die Unruhe, vielleicht verbunden mit hohem Blutdruck, der Leistungsdruck im Job, die Menopausenprobleme. Wir gehen all dies mit Blick auf die Lebensbedingungen der Frauen an, und natürlich unter Einbeziehung der anderen medizinischen Fächer, die es in einem Klinikum wie dem unsrigen gibt. Woher sie von uns erfahren? Sehr oft aus dem Internet. Und deshalb kommen die Frauen auch von überall her, es gibt mittlerweile sogar schon Wartelisten vor allem für ambulante Termine.
Psychische Erkrankungen seien auf dem Vormarsch, heißt es in Statistiken mehrerer Krankenkassen aus den letzten Jahren. Sehen Sie das auch so – und sind Frauen dabei stärker betroffen als Männer?
Prof. Krüger: Definitiv kann man sagen, dass z. B. Depressionen heute eher diagnostiziert werden als früher, und dies bei Frauen und Männern. Das ist die eine Seite. Die andere ist – beide Geschlechter werden nicht adäquat behandelt! Hier liegt das eigentliche Problem. Die geschlechtsspezifische Medizin, und das ist ja auch der Ansatz bei der Behandlung unserer Patientinnen, erfordert das interdisziplinäre und nicht ausschließlich biologische oder psychologische Herangehen bei Diagnostik und Therapie. Hiermit tun sich die Ärztinnen und Ärzte oft schwer. Ein großes Problem bleiben für uns Psychiater die zur Verfügung stehenden Medikamente. Natürlich sind die im Laufe der Jahre spezifischer und besser verträglich geworden. Dennoch müssen auch hier geschlechtersensible Aspekte betrachtet werden – Frauen entwickeln andere Nebenwirkungen als Männer. Etwas provokant formuliert: Frauen wollen bei der Einnahme von Psychopharmaka nicht dick werden, Männer nicht ihre Potenz verlieren! Individualisierte Medizin heißt deshalb auch zuerst zu schauen – handelt es sich um eine Frau oder einen Mann, so banal das auch klingen mag. Die forschende Pharmaindustrie sollte auch mehr darauf fokussieren, die Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Substanzen unter diesen Gesichtspunkten zu prüfen.
Wie strahlt das Zentrum nach außen, ist da mehr drin?
Prof. Krüger: Das wäre es, wenn uns die Arbeit mit den Patientinnen mehr Zeit ließe! Unser Team nutzt natürlich alle möglichen Gelegenheiten, um über unsere Arbeit zu berichten und Erfahrungen zu vermitteln. Im Vivantes-Kliniken-Verbund in Berlin gelingt uns das schon ganz gut, z. B. durch Vorträge und Fallvorstellungen. Eine gute Möglichkeit des Voneinander-Lernens sehe ich auch in der Vernetzung mit Kinder- und Jugendpsychiatern. Wie wir uns überhaupt den Austausch innerhalb und über die Fachgrenzen hinaus wünschen, vor allem unter dem Aspekt der geschlechtsspezifischen Medizin.
Das Gespräch führte Annegret Hofmann