Prof. Thomas Illig
Kirstin Mittelstraß

Stoffwechselprofile bei Frauen und Männern: Überwältigende Unterschiede nachgewiesen

Dies ist der Stoff, aus dem Nobelpreise gemacht sind: Erst vor wenigen Tagen veröffentlichten Prof. Dr. Thomas Illig und Kirstin Mittelstraß vom Helmholtz Zentrum München die Ergebnisse ihrer Forschungen in den internationalen Fachzeitschrift PloS Genetics und Nature. Es geht dabei um nicht mehr und nicht weniger als den Nachweis, dass sich Frauen und Männer in den Stoffwechselprofilen des Blutserums signifikant unterscheiden. Wir sprachen mit Prof. Illig in München.

Signifikant – was bedeutet das in diesem Zusammenhang?

Prof. Illig: Wir haben mit Hilfe modernster hier zur Verfügung stehender Möglichkeiten der Massenspektrometrie uns vorliegende Daten der Stoffwechselverbindungen bei mehr als 3.000 Frauen und Männern ausgewertet. Dazu gehörten Fette, Aminosäuren, Ester-Verbindungen und andere mehr. Das ist in dieser Differenziertheit bisher nicht möglich gewesen. Das Ergebnis kann man nicht anders als bedeutsam bezeichnen: Von den 131 untersuchten Stoffwechselverbindungen im Blutserum waren 101 zwischen Männern und Frauen unterschiedlich, und zwar deutlich.

Woher kam das Datenmaterial?


Prof. Illig:
Wir haben vorhandene Daten aus der KORA-Bevölkerungsstudie Augsburg verwendet. Hier werden seit 25 Jahren gesundheitsrelevante Untersuchungs¬ergebnisse von rund 18.000 Frauen und Männern im Alter von 25 bis 74 Jahren zusammen getragen, die einen hervorragenden Grundstock für weitergehende Forschungen zur Gesundheit bieten. Dass wir jetzt so ins Detail gehen konnten, ist der Weiterentwicklung der Genom- und Matabolomanalyse zu danken, bis vor kurzem wären solche Detailergebnisse zu biologischen Parametern nicht möglich gewesen.
Nun konnten wir die metabolischen Profile vergleichen und kamen zu den geschilderten Ergebnissen.

Hatten Sie solche Unterschiede erwartet?


Prof. Illig: Ehrlich gesagt, nein. Kleinere ja, das schien selbstverständlich. Aber ich habe keine großen Hoffnungen in die neue Untersuchung gehegt, die meine Mitarbeiterin Dr. Kirstin Mittelstraß angeregt hat. Schauen wir halt mal. Dass sich die Unterschiedlichkeit so deutlich festmachen lässt, hatte ich nicht erwartet. Ich glaube, das öffnet uns nun die Tür zu neuen Erkenntnissen, nicht nur in der Differenziertheit der Stoffwechselprofile und -prozesse, sondern vielleicht auch in der Genetik, den DNA-Veränderungen und anderen Grundlagenforschungen, für die die Geschlechtsspezifik bis jetzt nicht vordergründig relevant war.

Welche Konsequenzen erwachsen nach dem bisherigen Kenntnisstand für die weitere Entwicklung der Medizin?

Prof. Illig: Männer und Frauen sind molekular zwei völlig unterschiedlichen Kategorien zuzuordnen. Das bedeutet, im therapeutischen Herangehen muss das grundlegend beachtet werden, bei der Entwicklung von Pharmaka beispielsweise. Die neuen Erkenntnisse helfen uns, die Entstehung von großen Volkskrankheiten besser zu verstehen. Unsere Untersuchungen haben wir u. a. mit dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) durchgeführt, die Schlüsse, die wir gezogen haben, fokussierten zunächst auf den Diabetes mellitus. Das gleiche lässt sich natürlich für andere Erkrankungen nachvollziehen. Wir stehen nicht nur vor einem Umdenken in der medizinischen Forschung, sondern vor ziemlich umfassenden Veränderungen, was Pharmaentwicklung, Prävention, Früherkennung, Diagnostik, Therapie, Nachsorge betrifft.

Literaturhinweis:
http://www.plosgenetics.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pgen.1002215