Silke Oelkers BARMER GEK

Vereinbarkeit von Beruf und Pflege – Herausforderung und Chance

Statement zum Workshop "Sie tickt anders. Er auch." in Bochum.
Silke Oelkers, Abteilungsleiterin Grundsatz und Produktentwicklung, BARMER GEK Hauptverwaltung Wuppertal

Artikel
13.05.2012
Geschlechterspezifik und die daraus resultierende Notwendigkeit, differenzierte Versorgungsprogramme und Angebote vorzuhalten, ziehen sich längst wie ein roter Faden durch Medizin und Pflege. Verschiedene Beispiele hatte ich bereits im letzten Jahr im Rahmen des Workshops Gendermedizin und Öffentlichkeit aufgezeigt und das vielfältige Engagement der BARMER GEK dargelegt. 

Spricht man über Geschlechterspezifik in der Pflege, so ist zwischen Pflegebedürftigen und Pflegenden zu unterscheiden, wobei Letztere aus erwerbsmäßig Pflegenden und privaten Pflegepersonen bestehen.
Heute möchte ich den Fokus auf die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege richten. Denn die demografische Entwicklung und der zunehmende Fachkräftemangel stellen uns vor besondere Herausforderungen. Immer mehr Menschen müssen neben der eigenen Berufstätigkeit die Pflege von Angehörigen bewältigen. 

Zahlen, Pflegewahrscheinlichkeiten und -risiken im individuellen Lebenslauf verdeutlichen den Handlungsbedarf:
  • Jüngste Ermittlungen gehen davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2030 auf rd. 3,4 Millionen und 4,5 Millionen im Jahr 2050 ansteigen wird.
  • Von den heute rund 2,38 Millionen Pflegebedürftigen werden 1,6 Mio. – also fast 70 Prozent – ambulant betreut, davon etwa 1,1 Mio. durch Angehörige. 
  • Die Lebenserwartung von Frauen liegt bei rd. 82,2 und die von Männern bei rd. 76,7 Jahren. Frauen sind länger (51 Monate) pflegebedürftig als Männer (37 Monate). 
  • Drei von vier Frauen werden pflegebedürftig. 
  • Die Altersgruppe der hauptsächlich von Angehörigenpflege betroffenen Beschäf¬tigten liegt zwischen 40 und 54 Jahren.
  • •Frauen stellen nach wie vor mit 72 Prozent den Hauptanteil der Pflegenden. Aber: Die Häusliche Pflege wird flexibel. Immer mehr Männer sind einbezogen.
  • Viele Frauen reduzieren ihre Arbeitszeit zugunsten der Pflege und erleben damit nach einer ersten Familienphase mit Kindern häufig einen zweiten Karriereknick.
  • 59 % der pflegenden Angehörigen sind selber bereits 55 Jahre oder älter. 
  • Die durchschnittliche Dauer einer häuslichen Pflege liegt bei 8, 2 Jahren.
  • Die Doppelbelastung von Pflege und Berufstätigkeit erhöht das Risiko, selber arbeitsunfähig und pflegebedürftig zu werden. 
  • Krankenpflegepersonal weist mit 4,5 Prozent die höchsten Krankenstandsraten auf.
Bei der Gestaltung geeigneter Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege muss sowohl der besonderen Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt als auch der Pflegesituation Rechnung getragen werden. Frauen im Erwerbsleben zu halten, ist einerseits wichtig, weil sie dadurch eine eigenständige existenzielle und soziale Sicherung aufbauen und andererseits der Fachkräftemangel dies auch erforderlich macht. Erhebungen zeigen, dass Frauen im Vergleich zu Männern eher geringfügigen oder Teilzeit-Beschäftigungen in Kleinstbetrieben nachgehen. Selbst wenn sie vollzeitig arbeiten, verdienen sie zum Teil deutlich weniger. Die dadurch bereits vorliegende finanzielle Abhängigkeit vom Partner wird durch eine Berufsaufgabe infolge der Pflege Angehöriger noch verschärft. Es wird nicht mehr als vorrangige Aufgabe von Frauen gesehen, sich um die Pflegebedürftigen zu kümmern. Pflegearbeit betrifft beide Geschlechter. 

An dem von der Europäischen Union und dem Land NRW geförderten Projekt des Zentrum Frau in Beruf und Technik (ZFBT) zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege nahmen im Zeitraum 2008 bis 2011 16 Unternehmen aus Handel und Handwerk, IT oder Dienstleistung teil.

Die BARMER GEK als wichtiger Akteur im Gesundheitswesen hat bei diesem Förderprojekt konzeptionell und inhaltlich mitgearbeitet und sich als großer bundesweiter Arbeitgeber selbst beteiligt.

Projektziel war es, ein Instrumentarium zu erarbeiten, das die betriebliche Unterstützung der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ermöglicht und befördert. Dazu zählen neben konkreten innerbetrieblichen Hilfen auch Angebote, die pflegenden Angehörigen die Wahrnehmung bestehender Hilfen aus dem familiären und sozialen Umfeld, professioneller oder ehrenamtlicher Unterstützungsangebote erleichtern.
Arbeitgeber sollen damit die Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit erhalten. Beschäftigte sollen ihre psychische und physische Gesundheit sowie ihre Lebensqualität bewahren. Damit kann sich nicht nur ihre berufliche Situation, sondern auch die häusliche Pflegesituation stabilisieren.

Die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse sind in Leitlinien für Führungskräfte eingeflossen. Sie sind Bestandteil des BARMER GEK Gesundheitsreports 2011, der unter www.barmer-gek.de/501306 abrufbar ist. Er zeigt detailliert auf, welche Arrangements sich zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege anbieten. Handlungsfelder bilden die Personalpolitik, Unternehmenskultur und Unternehmens-infrastruktur. Die vorgestellten Maßnahmen haben sich in der Praxis bewährt und können dazu beitragen, den Firmenalltag und insbesondere eine mittel- und längerfristige Personalplanung berechenbarer zu machen. Oft handelt es sich dabei auch um kleinere Gesten wie eine verlängerte Mittagspause oder um für Pflegende reservierte Parkplätze. Ihre Wirkung verfehlen sie trotzdem nicht, denn sie entlasten die Betroffenen spürbar.

Ob nun flexible Pausenregelungen oder die so genannte alternierende Heim- /Telearbeit zur Anwendung kommt, bei der ein Teil der Arbeit zu Hause und ein anderer im Unternehmen erledigt wird: Die angebotenen Instrumente oder Regelungen sollten verbindlich in Betriebs- oder Dienstvereinbarungen gegossen werden. Das gibt Planungssicherheit und lässt sich gut im Außenverhältnis darstellen.

Was tun, wenn das Thema Pflege bei Mitarbeiterin oder Mitarbeiter plötzlich akut wird? Die Arbeitgeber können Betroffenen weite Wege und umständliche Recherchen ersparen, etwa indem sie ihnen eine Pflege-Mappe an die Hand geben. So können die sich direkt am Arbeitsplatz über Stichworte wie Vorsorgevollmacht oder Patientenver-fügung informieren, ohne dafür ihre Arbeit unterbrechen zu müssen. Als Basis dafür kann ein neuer Ratgeber für Pflegende dienen, der im BARMER GEK Arbeitgeberportal zum Download unter www.barmer-gek.de/501402 bereitsteht. Er weist den Weg zu Informations- und Beratungsangeboten, zu Ansprechpartnern und Anlaufstellen. Und er kann beliebig um firmenspezifische Infos und Angebote ergänzt werden. Auch dieses Entgegenkommen des Arbeitgebers macht noch einmal deutlich, worum es geht: Helfen und unterstützen, wo irgend möglich. Allerdings ohne die Betroffenen aus ihren privaten und beruflichen Verpflichtungen zu entlassen. Angebote zur Förderung der Gesundheitskompetenz in Unternehmen und zur Förderung der Gesundheitskultur flankieren diese Maßnahmen.


Kontakt

Silke Oelkers
Abteilungsleiterin
Grundsatz, Produktentwicklung, Übergreifende Koordination
BARMER GEK Hauptverwaltung
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